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Brauchtum im 21. Jahrhundert

04. April 2022

„Von den Vorfahren geleckt“ im Bochumer Kunstmuseum – Kunstwandel 04/22

Ein mächtiger Motorrad-Chopper scheinbar aus umgeformten Lehmgefache alter Bauernhäuser versperrt fast den Eintritt in die Ausstellungsräume im Parterre des Bochumer Kunstmuseums. Doch man gelangt noch zu den ungewöhnlichen Arbeiten von Aurélie Ferruel und Florentine Guédon, beide Töchter von Landwirten, die ihre Ausstellung sehr skurril „Von den Vorfahren geleckt“ nennen. Dabei ist nicht der Speichel als Klebstoff für Lehm gemeint, sondern eher die Generationen-übergreifende Analyse von Wissens-DNA. Das französische Künstlerinnen-Duo benutzt den Begriff auch skulptural als Analogie zu den Nachwuchs-leckenden Bärenmüttern, die ihre Jungen so in Form bringen. Ein kleiner schwarzer Bär umgeben von phallischen Keramikobjekten im ehemaligen Café im Untergeschoss des Museums verweist darauf.

Weiter geht’s aber oben erst einmal mit Lehm und einer Choreografie durch Arbeiten der letzten Jahre, die sie speziell für Bochum mit neuen arrangieren. Dass dabei viel Staub aufgewirbelt wird, wenn Lehm und Stroh in einem Betonmischer angerührt werden, kann man in einem Video verfolgen. So entstanden auch die zentralen neuen Werke, zwei mächtige Stelen, die die Decke durchstoßen und auf den flüchtigen Blick mesoamerikanische Züge tragen, sich aber beim näheren Hinsehen als Unterseiten undefinierter Fahrzeuge mit diversen Auspuffrohren und Aggregaten entpuppen. Das Material widerspricht hier aber offensichtlich dem Objekt, zusätzlich irritieren Glasobjekte die an Pflanzenteile erinnern und hier und da im Lehm stecken, der zwar kompakt erscheint, aber bei wechselnder Luftfeuchtigkeit gewollt und akzeptiert Risse bilden wird.

Im Hintergrund sind schon 13 bunte „Totems“ auf Stangen zu sehen und ein hölzernes Bett in Originalgröße. Ein aus Lehm geformtes Paar liegt darin, eine bestickte Decke verhüllt es. Traditionen und Bräuche ihrer Heimatregionen Vendée und Normandie spiegeln sich in allen Arbeiten der Künstlerinnen, auch in den tänzerischen Performances wie „Dance avec le cul“ (Tanzen mit dem Arsch), wo sie verführerisch mit steifen Holzfiguren tanzen, die zwar nicht auf sie reagieren, aber in Bochum die bretonischen Perücken und südafrikanischen Kostüme tragen müssen. Ein außergewöhnlicher, augenzwinkernder Kulturenmix wie die gesamte Raum-Installation im Bochumer Museum.

Von den Vorfahren geleckt | bis 19.6. | Kunstmuseum Bochum | 0234 910 42 30

Peter Ortmann

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