Theresa Webers Ausstellung „Chaosmos“ befasst sich mit der Beziehung zwischen der menschlichen und der göttlichen Welt. Ein Gespräch mit der Kuratorin und stellvertretenden Direktorin des Bochumer Kunstmuseums, Julia Lerch Zajaczkowska.
trailer: Frau Zajaczkowska – Stoffskulpturen, Altäre, die Göttin Ishtar? Welche Welt behauptet Theresa Weber im chaotischen Kosmos?
Julia Lerch Zajaczkowska: Behauptung ist ein großes Wort. Eigentlich stellt sie dar, was wir alle erleben, dass man nämlich die Welt auf eine bestimmte Art sieht, und dass es eine von Verflechtungen und Austausch geprägte Welt ist. Theresa Weber bezieht sich einerseits auf ihre eigenen biografischen Bezüge – sie hat Bezüge nach Jamaika, Deutschland und Griechenland – und nimmt das auch zum Anlass aufzuzeigen, in welchen Beziehungen wir global miteinander stehen. Dabei ist sie inspiriert von verschiedenen philosophischen, aber auch mythologischen Konzepten. Das klingt erst einmal sehr theoretisch, wenn man aber dann die Arbeiten sieht, erkennt man auch die Sinnlichkeit darin und das Unausgesprochene, das einen die Welt auch auf diese Art sehen lässt.
Warum spielt bei ihr so oft das Göttliche eine Rolle?
Was Theresa Weber an diesen Gottheiten oder göttlichen Figuren inspiriert, ist die Fluidität, die darin steckt. Dass sie alle also nicht das eine oder andere sind, sondern dass alle in verschiedenen Erscheinungen auftreten können, was das Geschlecht angeht, aber auch bestimmte Fähigkeiten, die sich vielleicht im ersten Moment widersprechen, die zwar zu diesen Gottheiten gehören, die sich aber auch auf einen selbst übertragen lassen. Die Göttin der Liebe ist gleichzeitig die Gottheit der Zerstörung und das ist erst mal ein Widerspruch, aber das muss es nicht unbedingt sein. Das ist das Faszinierende an den Gottheiten.
Das bezieht sich insbesondere auf Ishtar?
Ishtar, aber es sind auch noch weitere wie beispielsweise Nemesis dabei. Dazu spielt auch eine Rolle, dass es nicht nur griechische Mythologie ist, sondern verschiedene Mythologien aus verschiedenen Regionen der Welt, die da zusammenkommen und zusammenspielen.
Was ist in der Ausstellung in Bochum zu sehen?
In der Ausstellung sind über 70 Werke zu sehen, die zwischen 2021 und 2024 entstanden sind. Zwei Werkgruppen kennt unser Publikum schon, denn sie sind zur letzten großen Gruppenausstellung „Our house is a very very very fine house“ entstanden. Mit diesen Werken arbeitet Theresa Weber nun weiter, aber sie hat auch über ein Dutzend neue geschaffen. Es sind Leihgaben dabei, beispielsweise von der Sammlung für zeitgenössische Kunst der Bundesrepublik Deutschland und aus der Sammlung Philara Düsseldorf.
Wie transportiert man als Museum derartige Inhalte an Besucher:innen?
Das ist etwas, worüber ich gerade auch mit Theresa Weber in Austausch bin. Denn viele dieser Gottheiten und Darstellungen von Symbolen setzen ein Vorwissen voraus, das man nicht voraussetzen kann. Es wird einen großen Text geben, und es wird auch die Möglichkeit geben, mit der Künstlerin selber durch die Ausstellung zu gehen. Das ist zwar erst im Oktober möglich, aber vorher auch im Rahmen einer Performance. Was Theresa und ich gerade entwickeln, ist eine Art Glossar, in dem diese Kerndarstellungen noch mal erklärt werden. Also dass man dann weiß, wer Ishtar ist und wofür sie steht und auch andere Symbole, die vorkommen. Das ist nicht belehrend gemeint, sondern als Hilfestellung, um das herauszulesen, was in den Werken vorkommt.
Es bleibt ein schwieriger Subtext – aber es gibt in jedem Fall schöne Handyfotos.
Genau. Die Ausstellung hat eine Schwere in der Thematik, aber eine Leichtigkeit in der visuellen Ausprägung. Und das ist das Schöne daran. Alle können mit verschiedenen Brillen durch die Ausstellung gehen und so auch intuitiv oder unterbewusst Dinge verstehen, die dargestellt werden.
Es gibt viele Bezüge zu fremden Kulturen, das ist erst mal reizvoll. Aber wie weit ist denn die eigene Erzählung der Künstlerin vom Imperialen entfernt? Hat das eine antikoloniale Perspektive?
Ja, das stimmt, aber ich würde sagen, ohne den Zeigefinger. Nicht, dass es den nicht braucht. Ich würde aber auch nicht sagen, dass es fremd ist. Denn da Theresa Weber einerseits mit diesen mythologisch-philosophischen Konzepten arbeitet, die etwas Bürgerliches haben oder zumindest das Verständnis davon, die Darstellungen aber gepaart sind mit Materialien, die Bezüge zum Alltag, Schönheit oder karnevalistischen Elementen haben. Diese Mischung aus Materialien, Darstellungen und Thematiken ist der Versuch, Leichtigkeit reinzubringen, ohne die Schwere des Themas zu verlieren. Also sie ist nicht moralisch, sondern inspirierend.
Das ist ja auch ein besonderer weiblicher Blick auf den Zustand der Menschheit. Bietet sie auch Lösungen an?
Ich glaube, eine der Lösungen liegt darin, Geschichte und Mythologie nicht als etwas Abgeschlossenes zu begreifen, sondern sich davon inspirieren zu lassen und zu schauen, welche Form von Gesellschaft, Körpern und Identitäten gibt es und gab es schon lange. Das ist hilfreich zu erkennen, dass das keine neue Mode ist, sondern etwas, das unsere globale Gesellschaft schon seit Jahrtausenden beschäftigt.
Theresa Weber: Chaosmos | 8.6. - 13.10., Eröffnung: 7.6. 19 Uhr | Kunstmuseum Bochum | 0234 910 42 30
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