Die Welt ist längst reif für Clowns in hohen Positionen, also ganz oben auf der Leiter, also vor der Reise in die Klapsmühle, äh, Sanatorium. Roberto Ciulli, der vor drei Jahren diese Gattung Mensch gegen das Älterwerden auf seine Bühne geholt hat, fragt sich heute bei „Clowns im Sturm“ in einer ziemlich veränderten Welt: Wie regieren die Clowns nun? Was tun sie mit den Flüchtlingen, mit ihrer Angst vor dem Islam und den Anschlägen und dem Erstarken der AfD? Und so schickt er sie auf eine Klassenfahrt, auf eine Reise durch das Irgendwo im Nirgendwo.
Und da steht natürlich am Bahnhof ein einsamer Rucksack, in dem es leise tickt. Die Gruppe nimmt sich seiner an, mit einem Flügel pirschen sie sich vor, Angst bestimmt die Pantomimen, Furcht vor einer Explosion, nur der Dumme, der sich mit einem zu kurzen Seil aufhängen wollte, kann dem Ticken etwas abgewinnen und setzt sich drauf. Natürlich passiert nichts, dafür entdeckt die Gruppe „den Fremden“, ein freundlicher Muslim, der natürlich sofort in Verdacht gerät. Für was, weiß keiner.
Regisseur Ciulli, der fast am Ende selbst die Bühne mit Waffengewalt abräumt, kommt bei der Inszenierung ohne Worte aus, hat dafür aber auch ausgefuchste Komödianten zur Verfügung, die selbst das eingesungene „Ave Maria“ beherrschen. Und das, bevor sie auf der Klassenfahrt die Moschee besuchen dürfen, was auch in der Shisha-Bar endet, die wohl eine verkappte Opiumhöhle ist. Jedenfalls scheinen alle interessante Träume zu haben. Zwangsläufig werden sie vom IS entführt und gefoltert. Ordnung, Chaos, Gebetsteppiche.Immer noch sind die Stühle zu winzig, wieder treten sie an zum gemeinsamen Barrikadenbau, der mehr eine Objektperformance ist. Aus der Gefangenschaft befreit sie der Regisseur, indem er alle wirkungsvoll erschießt. Vielleicht will er auch Gage sparen, nein, jetzt werden die einzigen Sätze des Abends gesprochen. Kommt, ich habe für euch gekocht, und die Clowns rollen heran, blicken verwirrt: Ist das der Himmel oder nur die Nachwirkung der Opiumpfeife?
„Clowns im Sturm“ | R: Roberto Ciulli | Sa 1.4., Fr 7.4. 19.30 Uhr | Theater an der Ruhr, Mülheim | 0208 599 01 88
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