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Kulturtempel neben Kommerztempel
Foto: Francis Lauenau

Urban et Obi

29. Oktober 2012

Randbemerkungen zum alternativen Kulturbegriff und zu verstörendem Toilettenpapier – Thema 11/12 Neue Urbanität

Ich komme aus einer sauerländischen Kleinstadt. Ich bin also katholisch sozialisiert. Während andere Kinder sich mit kleinen Schüppen im Sandkasten auf die Köppe gehauen haben, habe ich zu Hause mit meinen Geschwistern Segnen gespielt! Ich war der Papst und habe mit ganz großer Geste den „Urbi et Orbi“ gespendet und Kommunion mit Backoblaten ausgeteilt.

Irgendwann hat man mich aus dem Sauerland rausgelassen und ich habe versucht, mir meine sauerländische Vergangenheit nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Dazu war es wichtig, sich einer bestimmten Szene zuzuordnen. Und um zu dieser Szene zu gehören, musste man möglichst in einer WG in einem besetzten Haus wohnen, ein bisschen schmuddelige Secondhandklamotten tragen, in kleinen Bioläden einkaufen, selbstgekeimte Sämereien aus dem Biosnacky essen und vor allem bestimmte Wörter mit einer leichten Verachtung in den Mund nehmen. „Kultur“ war so ein Wort. Es war so ganz leicht bah, und richtigrichtig bah war das Wort „Konsum“! Kunst war wertvoll, wenn sie keine Konsumkunst war, deshalb machte man bestenfalls Kleinkunst. Dann haben einige von uns versehentlich mit der Kleinkunst Geld verdient und waren auf dem besten Weg, von der Szene ausgestoßen zu werden. Ich selbst hatte nicht mehr ganz so viel Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, denn die Sauerländerin in mir hatte zumindest in Sachen Fruchtbarkeit gesiegt und ich hatte mittlerweile einige Kinder mit meiner Kleinkunst zu ernähren.

Die Off-Theaterszene wurde längst von etablierten Kulturbetrieben aufgekauft
Irgendwann war dann mal ein ganz großer Guru der Off-Theater- und Kleinkunstszene in meinem Programm, und nach der Vorstellung wurde ich von ihm in den siebten Himmel gehoben: Subtil sei meine Kunst, gewagt und verstörend, und diese Idee, kleinbürgerlichen Humor mit ganz kleiner Geste zu entlarven … ganz, ganz große Kunst! Ich war positiv überrascht, wusste aber nicht so richtig, was er eigentlich meinte … bis mich meine Technikerin darauf aufmerksam machte, dass ich in der Pause wohl in zu großer Eile das stille Örtchen wieder verlassen hatte und mir peinlicherweise eine kleine Klopapierfahne aus dem Rock hing … Letztlich ist es mir nie wieder gelungen, so subtil und verstörend auf der Bühne zu sein, wie damals mit meinem Klopapierunfall. Inzwischen gilt es auch in der Szene nicht mehr als schick, erfolglos und verstörend zu sein. Die Off-Theaterszene wurde längst von etablierten Kulturbetrieben aufgekauft, die ehemals besetzten Häuser sind hochkostenintensiv saniert, die Bioläden sind prunkvolle Slowfood-Tempel und der Segen der modernen Ruhrgebietsstädte heißt nicht mehr Urbi et Orbi, sondern Urban et Obi. Manchmal stehe ich auf der Bühne und habe heimlich eine Rolle Klopapier in der Handtasche. So viel Subtilität muss sein!

Weitere Artikel zum Thema in unseren Partnermagazinen:
www.choices.de/urban-es-en-jefoehl
www.engels-kultur.de/kulturstadt-im-tal

Lioba Albus

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