Nach rund einer Stunde interessanter Diskussionen bringt es eine Besucherin der Veranstaltung mit ihrer Frage frech auf den Punkt: „Was genau können wir denn jetzt von Detroit lernen“? Ein verlegenes Prusten raunt durch die Halle. Das, nachdem das Manifest schon längst präsentiert wurde, man schon längst in der Diskussion über verschiedene Aspekte steckte: Über Eigentum und Bodenbesitz. Über die freie Kunstszene im Ruhrgebiet. Schließlich über das, was das Ruhrgebiet denn nun sei, eine Großstadt oder eine lose Aneinanderreihung von Käffern? Gemeinsamkeiten zwischen der fordistischen Industriestadt in den USA und der – bald ehemaligen – Opelwerksstadt Bochum werden auch erst seit dem „Detroit Projekt“ aufgezeigt: Und es gibt offensichtliche Ähnlichkeiten zwischen dem Wandel am Lake Michigan und in der Region entlang der Ruhr: Beiden Ballungsräumen geht die Industrie flöten, die Autoproduktionsstätten in Detroit, im Ruhrgebiet seit den 60ern die Montanindustrie, später folgten bis in die Gegenwart weitere Schließungen von Produktionsstätten, wie nun auch das Opelwerk in Bochum. Die Deindustrialisierung ist damit im Ruhrgebiet noch nicht abgeschlossen, die Folgen sind verheerend: Arbeitslosigkeit, Schrumpfung und ein, wie es im Manifest heißt, „Armutsgürtel, der nördlich der A40 von Duisburg nach Dortmund quer durchs Ruhrgebiet zieht." Aber Detroit soll Beispiele geben wie, man aus der Misere rauskommt.
Intervention in Detroit: Basisgruppen, die Leerstände ergreifen und beleben
„Wir finden, dass es im Ruhrgebiet spannende Basisgruppen gibt; Gardening-Projekte, die sich die Leerstände einfach nehmen und beleben. Da verwischt künstlerische Produktion mit Gemeinwesen," , so Martin Krämer vom Netzwerk „Recht auf Stadt – Ruhr“. Detroit als Blaupause ist daher kein Zufall: Denn das Netzwerk, das sich 2013 im Anschluss an die ruhrgebietsweite Konferenz "Stadt für alle" im Bahnhof Langendreer gründete und dem AkteurInnen aus Wissenschaft, Kultur oder sozialer Arbeit angehören, fordert eine ruhrgebietsspezifische Perspektive für die Stadtplanung und politische Intervention, die sich mit der Deindustrialisierung und Abwanderung auseinandersetzt. Die postindustrielle Zeit im Ruhrgebiet wird daher als Chance begrüßt. So heißt es im Manifest:„Wir denken, der erste Schritt zu einer Veränderung ist der, sich endlich einzugestehen, dass dieses Ruhrgebiet der ,Malocher‘ endgültig der Vergangenheit angehört. Wir trauern dem Verschwinden der für das Ruhrgebiet typischen Industriearbeit nicht nach. Wir wollen die Bilder von den heldenhaft verklärten Arbeitsmännern nicht mehr sehen. Wir stellen diese Identität stiftende Ruhrgebietsfolklore in Frage.“
Frage nach Enteignung: Hausbesetzungen im Ruhrgebiet
Genauso wie in Detroit liegen Leerräume brach. Die Industrie ist tot. Damit auch das alte Ruhrgebiet. „Eine andere Form der Wertschöpfung“, brauche man jetzt so Bastian Pütter vom Netzwerk, „nämlich eine soziale“. Das werfe auch, wie Netzwerk-Akteurin Kristin Schwierz hinzufügt, „Fragen nach der Kollektivierung von Räumen auf“. „Wir unterstützen jede Initiative, die sich die Räume für soziale Wertschöpfung einfach aneignet“, so Pütter. Solche „Aneignungen" sind auch jüngst im Ruhrgebiet aufgetreten: Etwa mit dem Sozialen Zentrum Avanti in Dortmund oder der Bärendelle in Essen vor einem Jahr – Interventionen, die das Netzwerk begrüßt, wie Martin Krämer sagt: „Es scheint eine Praxis zu sein, die besonders viele Menschen bewegt und zum Nachdenken anregt. Darüber, dass Mensch doch was tun kann. Vor allem aber bewusster seine Umwelt, in dem Fall ein leerstehendes Gebäude, an dem sonst achtlos vorbeigegangen wird, als gestaltbaren Ort wahrzunehmen. Ein leerstehender und nutzbarer Raum regt wohl schnell zur Wunschproduktion an.“ Es scheint, als hätten wir schon längst was von Detroit gelernt.
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