trailer: Frau Kiel, lange Zeit wurden Computerspiele für ein männliches Publikum konzipiert, mit einem sexistischen Frauenbild. Und heute?
Nina Kiel: Spiele waren auch in ihrer Frühzeit nicht immer sexistisch. Interessante, kompetente Heldinnen gab es vereinzelt schon in den 1980er und 90er Jahren. Richtig ist, dass es heute eine größere Zahl von Frauen in tragenden Rollen gibt und sie sich visuell stärker voneinander unterscheiden. Hinzu kommt, dass stereotype Darstellungen wie die „Jungfrau in Nöten“ seltener Verwendung finden. Präsent sind sie nach wie vor, wenn auch in besser ausdifferenzierten erzählerischen Kontexten. Die Differenzierung betrifft auch das Männlichkeitsbild, das oft auf Stärke und Durchsetzungsvermögen reduziert wurde. Heute können männliche Figuren emotional komplexer, verletzlich, niedergeschlagen und mutlos sein. Helden müssen nicht in jeder Hinsicht perfekt sein.
Haben Frauen als Userinnen, Produzentinnen und Protagonistinnen aufgeholt?
Als Nutzerinnen waren sie immer schon aktiv, wurden aber als Randgruppe betrachtet und ausgegrenzt. Heute fordern mehr Spielerinnen ihren Platz auf Konsum- als auch Produktionsebene ein und nehmen Diskriminierung nicht mehr hin. Ihr Anteil ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Auf Produktionsebene ist immer noch ein Mangel an weiblichen* Fachkräften zu verzeichnen, insbesondere in entscheidungsrelevanten Positionen. Die Anteile liegen bei 7-22%. Mittlerweile gibt es Förderprogramme, mit denen Mädchen* an technische Berufe herangeführt werden. Bei Studiengängen mit Gaming-Bezug gehen vermehrt Bewerbungen von Entwicklerinnen ein.
Verändert sich das Frauenbild in Computerspielen?
Neu ist, dass Spieler_innen die Darstellung von Frauen kritisch reflektieren und ihre Position als Konsument_innen nutzen, um Firmen dazu zu bewegen, vielfältigere Charaktere anzubieten. Als Blizzard 2015 die ersten Figuren aus „Overwatch“ veröffentlichte und sämtliche Frauen jung und schlank waren, wurde Kritik laut, die zur Entwicklung der Gewichtheberin Zarya führte, die sich großer Popularität erfreute. Andere Entwickler_innen kreieren weibliche Identifikationsfiguren, die vom Mainstream abweichen: Senua aus „Hellblade“, Nadine Ross aus „Uncharted“ und Mae aus „Night in the Woods“.
Gibt es Spiele, die ein emanzipatorisches Frauenbild fördern wollen?
Solche Spiele gibt es vereinzelt, bilden aber eine Nische. Hinter der Bereitstellung weiblicher Identifikationsfiguren stehen häufiger wirtschaftliche Erwägungen, denn die Industrie erkennt langsam, dass Frauen* weit mehr spielen und mehr Wert auf passende Avatare legen als bisher gedacht.
Wie reagieren männliche Spieler darauf?
Teile der männlichen Spielerschaft reagieren mit Unverständnis auf entsprechende Angebote, eine lautstarke Minderheit lehnt sie ab. Es kam der Vorwurf auf, dass Feminist_innen versuchen würden, das Medium zu verändern und die Stammspielerschaft zu verdrängen. Das ist eine Überreaktion, aber das Vorurteil hält sich und sorgt für viel Widerstand.
Feministische Kritik an sexistischem Spieldesign trifft auf starke Ablehung. Was sagt das über die Spielerszene aus?
Die Ablehnung überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass die Spielebranche jahrzehntelang männliche* Spieler angesprochen hat. Das Marketing war häufig auf die Abgrenzung der Spielerschaft von ihrem sozialen Umfeld und Frauen ausgelegt: Spielende Frauen* galten als non-existent oder inkompetent, und Frauen in Spielen wurden nur toleriert, wenn sie überdurchschnittlich attraktiv und aufreizend waren. Zugleich wurde die Kernspielerschaft dem Bild ausgesetzt, dass Männer starke, stoische Helden sind, die mit einer Frau als Trophäe belohnt werden. Hinzu kommt, dass Spielefans es gewohnt sind, ihr Hobby verteidigen zu müssen. Kritik am Medium wird als Grundlage für Verbote missverstanden. All dies hat zu einer Verstärkung sexistischer Tendenzen geführt, die sich 2012 entluden, als die feministische Medienkritikerin Anita Sarkeesian YouTube-Videos über Frauenrollen in digitalen Spielen ankündigte. Seither streitet man darüber, wie viel Geschlechtervielfalt vertretbar und erforderlich ist. Es haben sich in der Szene Fronten gebildet und verfestigt.
Eigene Spieleentwicklung ist durch neue Software leichter geworden. Ändert das das Spieldesign?
Die Verfügbarkeit kostengünstiger Tools hat die Branche enorm verändert. Während die Entwicklung von Spielen lange Zeit Firmen vorbehalten war, kann nun theoretisch jede_r eigene Projekte umsetzen. So haben Menschen Zugang zur Szene gefunden, die vorher unterrepräsentiert waren, Frauen*, Queere und Angehörige ethnischer Minderheiten. Diese Diversifizierung hat eine größere Perspektivvielfalt zur Folge, die sich in den Geschichten deutlich niederschlagen kann.
Welchen Einfluss haben unabhängige Entwickler?
Je unabhängiger ein_e Entwickler_in operiert, desto besser sind die Voraussetzungen für die Entwicklung von Produkten, die sich nicht streng an Marktvorgaben halten, sondern experimentellere Wege einschlagen und ungewöhnliche Rollenvorbilder anbieten. Der Erfolg einzelner Indie-Titel hat dazu beigetragen, dass auch größere Studios sich an neue Ideen wagen.
Nach welchen Kriterien richten Sie sich als Spieldesignerin?
Ich versuche, vielfältige Geschichten und Charaktere zu entwerfen. In der Teamarbeit ist das schwierig: Man muss man sich rechtfertigen, wenn man traditionell männliche Rollen mit Frauen* besetzen oder von visuellen Klischees abweichen will. Ich kann meine Idealvorstellungen nicht immer durchsetzen. Wichtig ist mir, die anderen für die mangelnde Diversität zu sensibilisieren und zu erklären, warum Geschlechtervielfalt wichtig ist.
Was sind Ihre Wünsche an das Design eines emanzipierten Frauenbildes?
Ich wünsche mir, dass weibliche Figuren facettenreicher dargestellt werden. Frauen* sind Menschen mit individuellen Kompetenzen, Vorlieben und Bedürfnissen, also sollte man sie entsprechend konzipieren, anstatt ihre Weiblichkeit zum alleinigen Merkmal zu erklären. Schön wäre es, weibliche Figuren jenseits der 30 zu sehen. Während es normal ist, erfahrene, vom Leben gezeichnete Männer als Protagonisten anzubieten, sind weibliche Charaktere fast ausnahmslos jung und konventionell attraktiv. Gegen diese Eigenschaften spricht nichts, aber sie sollten nicht die einzig akzeptierten sein.
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Das Sternchen hinter den Geschlechtsbezeichnungen schließt Menschen ein, deren Geschlecht von dem abweicht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Der Unterstrich schließt neben Frauen und Männern auch Menschen ein, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen können oder wollen.
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