Friedrich Dürrenmatts Stück „Die Physiker“ ist immer ein durchaus diskutierbares Theaterereignis. Was die vermeintlichen Irren mit drei Frauen in der Anstalt anstellen, ist kaum sinnvoll zu transportieren, das ist weder komisch noch clownesk. Jetzt hat Jo Fabian in Mülheim dennoch Dürrenmatts Komödie „Die Physiker“ inszeniert, quasi als eine frische Adaption für Jugendliche auf der Bühne des Theaters an der Ruhr. „Wir dürfen nicht oder dürfen nicht“, die erste skurrile Szenerie mit den vier Insassen wird minutenlang zum Standbild, was erst einmal ausgehalten sein will in dieser schnelllebigen Zeit. Köstlich war da bereits die erste Szene, wenn Chef-Irrenärztin Fräulein von Zahnd (Gabriella Weber) bewegungsfreudig den Kindergartenmorgenkreis inszeniert. Aber da liegt eben auch schon das Opfer im Rund, der Kommissar (Axel Strothmann) ist bereits im Anmarsch, und er kommt nicht zum ersten Mal. Damals hatte er Isaac Newton (Boris Schwiebert) als Täter identifiziert, doch dessen Irrsinn schützte ihn.
Regisseur Fabian lässt seine Opfer in den zwei Akten allerdings immer wieder aufstehen. Sophie Lochmann als Schwester Irene Straub gibt den Vamp, als sie dem Tode entfleucht, Einstein (Wolf Gerlach) soll diesmal der Übeltäter gewesen sein und zum Verhör, doch der muss erst einmal geigen. Der Kommissar verzweifelt, die drei Physiker machen ein Tänzchen und bleiben im Stück gefangen. Fabian baut eine zusätzliche Verwirrung ein: John von Neumann, der US-amerikanische Quantenmechaniker und Vater der Informatik (Bekim Aliji) ist wegen einer „Kriegsverletzung“ allerdings taubstumm und rührt sich nie. Die Gerechtigkeit auch nicht. Fabian setzt gekonnt auf Klamauk. Sophie Lochmann jetzt als allseits beliebte Schwester Monika Stettler („Bang bang, he shot me down“) muss dran glauben, denn der Physiker Moebius (Matthias Horn) hatte die Weltformel gefunden und sie wollte sie aus Liebe verkaufen. „Ich tu dir weh, tat mir nicht leid“, singt jetzt Rammstein. Dann greift die einzig echte Irre Fräulein Dr. von Zahnd nach der Weltherrschaft. Alles wieder im Dürrenmatt-Lot. So kann man seine Physiker tatsächlich machen.
„Die Physiker“ | R: Jo Fabian | Mi 25.1. 11 u. 18 Uhr, Do 26.1. 19.30 Uhr | Theater an der Ruhr, Mülheim | 0208 599 01 88
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