trailer: Herr Wermelinger, Sie sprechen von einem Missmanagement in der Bienenwelt.
André Wermelinger: Der Imker arbeitet inzwischen genauso intensiv wie jeder andere Nutztierhalter. Da haben wir zum Beispiel eine zu hohe Bienendichte, also zu viele Tiere im Stall. Wir haben eine Mast, das heißt wir füttern die Bienen mit Zucker. Wir haben eine Kastration, damit meine ich, wir verhindern oder verzögern jährlich den Schwarmtrieb. Wir haben den Medikamentenmissbrauch, weil wir drei oder viermal jährlich routinemäßig mit Säurebehandlung (Oxal- oder Ameisensäure) über die Bienen herziehen. Das sind alles Dinge, die wir aus der intensiven Viehzucht kennen.
Was kritisieren Sie insbesondere am Einsatz von Ameisen- oder Oxalsäure?
Wenn ich in die Wissenschaft gehe und schaue, welche Nebenwirkungen diese Säuren erzeugen, dann ist das ziemlich heftig. Wir reden hier zum Beispiel über eine therapeutische Breite und diese Breite ist bei Ameisensäure zum Beispiel extrem klein. Bei der kleinsten Überdosierung oder, wenn plötzlich die Sonne stärker scheint und es wärmer wird, laufe ich mit dieser Behandlung Gefahr, die Königin zu verlieren. Früher hat man die Säurebehandlung auch als Chemotherapie bezeichnet. Wir bringen zwar den Parasiten weg, aber wir legen das Immunsystem der Biene lahm. Wenn man schaut, wie sich der Imker dabei schützen muss – mit Handschuhen, mit Gasmasken, mit allem Möglichen. Da kann man sich vorstellen, was das für die Bienen heißt.
Welche Auswirkungen haben Stress und wechselnde Umgebungen?
Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass Stressoren durchaus relevant dafür sind, ob ein Bienenvolk krank wird oder nicht. Wir haben hier den Transport mit dem Herumschütteln, der die Bienen stresst. Je nachdem wie weit der Transport ist, können sie nicht fliegen. An neuen Standorten müssen die Bienen sich erst neu einfliegen. Durch die Transporte haben wir aber auch eine beliebige Verbreitung von Parasiten, Bakterien, von Viren, wie sie in der Natur so nicht vorkommt.
Was bedeutet das für die Ausbreitung von Krankheiten?
In der Natur ist ein Bienenvolk statisch, es bleibt am selben Ort und trennt sich einmal jährlich über den Schwarmtrieb, und der Schwarm zieht vielleicht ein bis drei Kilometer weiter. Das heißt, eine potenzielle Krankheit kann sich nur sehr lokal verbreiten und das Bienenvolk, das krank ist, geht in der Regel auch wieder ein. Das heißt, die Krankheit kann sich so schlechter bzw. nur lokaler verbreiten als wenn ich die Bienen herum transportiere. Durch die Globalisierung kann ich binnen 24 Stunden sämtliche Viren auf dem gesamten Erdball verbreiten.
Was bewirken Pestizide wie Neonicotinoide?
Wir müssen nicht nur über Neonicotinoide reden, sondern generell über den Einsatz von Pestiziden nachdenken und uns fragen: Was richten wir hier eigentlich an? Wir kennen die tödliche Dosis einer einzigen Substanz. Aber was passiert bei chronischer Belastung durch einen Pestizidcocktail?
Was macht es den Bienen noch schwer?
Also auch wir in Deutschland und in der Schweiz haben Monokulturen wie den Raps. Das führt dazu, dass, wenn der Raps blüht, die Bienen einseitig ernährt werden, da sie dann nur noch mit Raps zurückkommen. Wenn das Feld verblüht ist, dann finden die Bienen eine grüne Wüste vor. Sie reagieren sehr stark auf solche Nahrungsunterbrechungen, sogenannte Trachtlücken. Das ist extrem schwierig für die Biene, weil sie im ganzen Jahreszyklus geschwächt wird. Die Biene lebte ursprünglich im Wald, im hohlen, dicken Baum. Und damit eine Biene eine genügend große Baumhöhle vorfindet, braucht es alte Baumbestände. Genau die gibt es in unseren wirtschaftlich genutzten Wäldern fast nicht mehr. Im Wald selbst haben wir inzwischen auch eine Art Monokultur an Bäumen. So finde ich zum Beispiel keine Linden mehr, die wiederum sehr wichtig wären für die Bienen.
In China werden Pflanzen teilweise bereits von Hand bestäubt. Welche Zukunft malen Sie für Europa?
Aufgrund der Bevölkerungsexplosion weltweit brauchen wir zukünftig mehr Nahrung, also auch mehr Bestäubung. Die Politik versucht das zu erreichen, indem wir mehr Honigbienen auf die Felder bringen. Das ist der völlig falsche Ansatz. Die Honigbiene bestäubt in größerer Anzahl nicht wesentlich besser. Wir kommen also nicht umhin, eine nachhaltigere Landwirtschaft zu betreiben, die auch das Habitat für all die Wildbienenarten und andere Insekten bieten muss. Wenn wir die Erträge in der Landwirtschaft und die pflanzliche Biodiversität betrachten, dann maximieren wir die Erträge über eine möglichst breite Bestäubervielfalt und nicht, wenn wir möglichst viele Honigbienen haben.
Das heißt, die Honigbienen sind ein Problem?
Wir haben viel zu viele Honigbienen und diese stehen in Konkurrenz zu den Wildbienen. Sie saugen den Wildbienen im Prinzip die Blüten aus. Dazu kommt, dass bereits erste Krankheiten von der Honigbiene auf die Wildbiene übertreten können. Sind wir gerade dabei, ein großes, ökologisches Desaster anzurichten? Wir wissen nicht, wie sich das ausweiten wird. Die Honigbiene können wir extrem leicht managen. Wir können sie vermehren und in beliebiger Anzahl zum Zeitpunkt x auf ein Feld bringen. Die Wildbienen lassen sich nicht so einfach managen. Dafür brauchen wir richtige Bodenstrukturen, ein Nahrungsangebot und Nistplätze. Das ist sehr viel schwieriger. Damit die Wildbiene da ist, brauchen wir eine intakte Natur. Wir hatten in der Schweiz ursprünglich etwas über 600 Wildbienenarten, in Deutschland rund 700, glaube ich. In der Schweiz haben wir schon über 10 Prozent verloren. Sie sind ausgestorben. Darüber hinaus sind 45 Prozent gefährdet. Wir werden sie verlieren, wenn wir nichts tun.
Imkern avanciert zur Mode. Wie viel Platz brauche ich?
Ein Balkon reicht. Interessanterweise sind die Bienen in der Stadt heute gesünder als die Bienen auf dem Land, weil die pflanzliche Biodiversität in der Stadt größer ist. Insofern ist ein Balkon in einem Dorf oder einer Stadt durchaus interessant.
Was raten Sie jemandem, der mit dem Imkern anfangen möchte?
Man kann das auf ein paar Faktoren beschränken: Den Standort, die Umweltbelastung, die Nahrung und das Habitat. Wichtig ist, dass ich einen Standort habe, an dem ich über die ganze Saison eine gewisse Blütenvielfalt habe. Dazu gehört auch eine eingeschränkte Umweltbelastung. Damit meine ich, dass nicht gerade der Nachbar, der eine Obstplantage hat, mitten in der Blüte spritzt. Das ist das eine. Muss trotzdem zugefüttert werden, weil das Nahrungsangebot in der Natur nicht reicht, ist Zucker mit Sicherheit nicht die richtige Nahrung für eine Biene. Darüber hinaus ist die Haltungsmethodik und das Habitat sehr wichtig. Das heißt, wie arbeite ich mit den Bienen und in welchen Beutesystemen halte ich sie – sind diese eher für die Imker oder für die Bienen gemacht.
Womit sollte man starten? Naturschwarm oder Kunstschwarm?
Es ist natürlich das Schönste, wenn ich mit einem Naturschwarm starten kann. Aber beim Start ist das nicht ganz so wichtig. Ich empfehle den Jungimkern heute: zu starten mit was sie auch immer kriegen. Später kann man dann selbst entscheiden, ob man künstlich Ableger bildet oder einfach wartet, bis der Schwarm abgeht und diesen dann wieder einfängt. Wichtig ist, dass der Imker die Folgejahre nach dem Start voll auf die natürliche Vermehrung setzt.
Was gibt es sonst noch zu beachten?
Ich kenne die deutschen Gesetze nicht im Detail. In der Schweiz unterliegt die Bienenhaltung dem Tierseuchengesetz. Die Bienenhaltung ist meldepflichtig. Ich darf nicht einfach Bienen halten. Und durch die Meldepflicht werde ich regelmäßig durch Bieneninspektoren besucht und die prüfen wiederum den Gesundheitszustand meiner Bienenvölker.
Sie plädieren für eine artgerechte Tierhaltung. Was fordern Sie?
Imker sollen mit einem Prozentsatz ihrer Bienenvölker extensiv Honig produzieren und den anderen Prozentsatz ihrer Bienenvölker stärker der Natur überlassen und z.B. naturnah imkern.
Welche Vorbereitungen muss ich treffen, um meine Bienen über den Winter zu bringen?
Das kann ich ziemlich genau sagen: Tue ich gar nichts, dann habe ich etwa neunzig Prozent Risiko, meine Bienen schon im ersten Winter aufgrund von Hunger zu verlieren. Wenn ich das Überleben meiner Bienen fördern will, dann muss ich entweder beginnen, Honigräume aufzusetzen, damit die Bienen mehr produzieren als sie das in der Natur tun würden, oder ich muss füttern. Dann habe ich gute Chancen, die Bienen über den Winter zu bringen. Wenn ich dann noch mehr machen will, dann muss ich mit der Behandlung gegen die Varroamilbe beginnen.
Die Varroamilbe ernährt sich vom Blut der Bienen, die sich über die Bissstellen mit Viren infizieren können. Sie sehen die Gefahr in Zusammenhang mit höherem Honigertrag.
Je intensiver ich mit den Bienen arbeite, umso besser können sich die Varroas natürlich vermehren. Also je mehr Honig ich mache, umso mehr Probleme habe ich mit dem Parasiten. Die Vorstellung, dass ein behandlungsfreies Volk nicht über die Runden kommt, ist falsch. Das ist zigfach bewiesen, praktisch und wissenschaftlich. Es gibt sehr viele Imker, zum Beispiel in England, die entweder nie gegen Varroas behandelt haben oder seit Jahrzehnten nicht mehr behandeln. Aber eben halt nur unter naturnahen oder ganz natürlichen Bedingungen.
Wie kann man die Arbeit dem Verbraucher transparent machen?
Wir müssen die Bienenhaltung diversifizieren. Das führt zu einer Mischbienenhaltung und zu einer Aufsplittung der Methodik. Es gibt nicht mehr eine richtige Methode. Das ist eigentlich der Kern der ganzen Geschichte. Wenn man es mit der Landwirtschaft vergleicht, kennen wir Begriffe wie intensiv, extensiv und andere mehr. Das hat es alles in der Imkerei nicht gegeben. Wir hatten keine Begriffe, um über einen Intensitätsgrad zu reden. Das haben wir eingeführt mitfreethebees. Wir haben das Ganze geordnet und klassifiziert und können jetzt sagen, wer wie intensiv arbeitet und welche Faktoren dafür ausschlaggebend sind.
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stadtbienen.org | Das Team richtet sich speziell an Stadtbewohner und bietet Kurse in 20 Städten an.
immenfreunde.de | Die Seite punktet mit einem besonders großen Wissensangebot für Freunde der naturnahen Imkerei.
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