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Einfach so?
Foto: Cornelia Wortmann

„Wir werden einmal darüber lachen, Arbeit müsse bezahlt werden“

27. April 2017

dm-Gründer Götz Werner über Arbeitsglück und Unternehmensethik – Thema 05/17 Arbeitsglück

trailer: Herr Professor Werner, Sie stehen für einen betont unautoritären Führungsstil im Unternehmen und plädieren außerdem für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Was muss passieren, damit Arbeit nicht nur Geld, sondern auch innere Zufriedenheit oder sogar Glück bringt?
Götz Werner:
Wenn Menschen in ihrer Arbeit über sich selbst hinauswachsen können, macht sie das glücklich. Wenn man sagen kann: Mensch, heute habe ich etwas geschafft, das hatte ich mir nicht zugetraut. Zum Beispiel: Heute waren so viele Kunden im Laden und ich bin überhaupt nicht nervös geworden, habe das souverän gemeistert, mit meinen Kollegen zusammen.

Als Unternehmer muss man Rahmenbedingungen schaffen, dass die Mitarbeiter für diejenigen arbeiten, für die sie tatsächlich arbeiten: für die Kunden. Nicht, weil ein Chef es anordnet oder weil der Vorgesetzte so ein tolles Vorbild ist oder weil er eine Riesenprämie verspricht, sondern weil sie den Sinn ihrer Arbeit in der Aufgabe selbst entdecken. Es ist eine Bewusstseinsfrage. Wenn das, was man tut, extrinsisch, also von außen motiviert ist, ist es Maloche, wie man im Ruhrgebiet sagt. Wenn die Arbeit intrinsisch motiviert ist, also die Einsicht dahinter steht, dass man es nicht nur für sich selbst tut, sondern für die ganze Welt, dann ist das eben keine Maloche mehr, sondern Lebenssinn.

Die eine Säule für Arbeitsglück ist also Sinnstiftung. Die zweite Säule ist, dass die Arbeit wertgeschätzt wird. Es gibt keine Drecksarbeit, sondern es gibt nur Arbeit, die wertgeschätzt wird, und solche, die nicht wertgeschätzt wird.

Apropos Wertschätzung: Welche Änderungen sind in den deutschen Chefetagen dringend notwendig?

Prof. Werner W. Götz
Foto: dm/Alex Stiebritz
Zur Person:
Prof. Götz W. Werner, Jahrgang 1944, ist Gründer und inzwischen Aufsichtsrat von dm-drogerie markt. Er ist Mitglied mehrerer Aufsichtsräte und Beiräte national und international operierender Unternehmen, Gastprofessor an der Alanus Hochschule und Autor des Buchs „Einkommen für alle“. Werner wurde unter anderem mit dem Verdienstorden 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland und dem Deutschen Gründerpreis ausgezeichnet.


Man kann immer noch so neofeudalistische Verhaltensweisen beobachten. Richtig wäre, dass man den anderen Menschen, und mag es auch der Geringste sein, wie es in der Bibel heißt, genauso wertschätzt und ihm auf Augenhöhe begegnet. Und dass man nicht meint, die da oben sind die Schlauen und die da unten die Dummen, die oben denken und die unten arbeiten. So ein Verhalten führt nicht dazu, dass die Mitarbeiter sagen, jawohl, hier bin ich Mensch, hier steige ich ein. Ich versuche das seit vielen Jahren deutlich zu machen: Die Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit ist ein fataler Grundirrtum. Beides ist Lebenszeit. Wir haben in Deutschland bei dm 40.000 Kolleginnen und Kollegen, und als Unternehmer geht man mit der Lebenszeit der Kolleginnen und Kollegen um. Dieses Bewusstsein muss man haben. Dadurch hat man nicht weniger Mut, aber mehr Demut.

Wir alle geben der Arbeit eine immense Bedeutung. Wenn ich mich aber über meine Arbeit nicht definieren kann, worüber definiere ich mich dann?
Dann müssen Sie sich eine andere Arbeit suchen.

Ist es richtig, dass die reguläre Erwerbsarbeit gesellschaftlich mehr geachtet ist als das, was Menschen an nicht bezahlter Arbeit leisten, von Kindererziehung über soziales Ehrenamt bis Sportverein?
Stellen Sie sich mal unsere Gesellschaft ohne ehrenamtlich Tätige vor. Was wäre das für eine Gesellschaft? Da würde kein Mensch leben wollen. Man hat sich so daran gewöhnt, die Lohnarbeit in den Vordergrund zu stellen, aber schaut man in die Statistiken, werden ja viel mehr, ungefähr zweieinhalb mal so viel, ehrenamtliche Arbeitsstunden in der Gesellschaft geleistet. Und dabei sind wir dann aber bereit, viel mehr zu zahlen für die Wartung unserer Autos, als für die Betreuung unserer Kinder in den Kindergärten, und die Pflege unserer Eltern im Altersheim. Das könnten wir auch anders machen, wenn wir wollen.

Wie schafft man eine Veränderung solcher gesamtgesellschaftlichen Werten und Normen?

Indem man in den Gesellschaftsdiskurs geht und dadurch zu anderen Wertvorstellungen kommt. Vor hundert Jahren haben Zeitungen noch geschrieben, Frauen dürften nicht wählen, weil sie nicht denken könnten. Wie urteilen wir heute darüber? Wir wollen noch nicht einmal mehr darüber lachen. So ändern sich die Dinge. Und so wird sich die Einstellung zur Arbeit auch ändern. Wir werden einmal darüber lachen, dass wir gedacht haben, Arbeit müsse bezahlt werden. Sie können die Arbeit durch eine Bezahlung immer nur ermöglichen. Die Arbeit selbst ist gar nicht bezahlbar. Erst einmal müssen Sie möglich machen, dass jemand überhaupt die Zeit aufwenden kann, um zu arbeiten. Und schon sind Sie beim bedingungslosen Grundeinkommen. Ein Mensch, der in unserer Gesellschaft lebt, muss ein Einkommen haben, damit er leben kann. Wenn Sie kein Einkommen hätten, könnten Sie es sich gar nicht leisten, mit mir ein Interview zu führen. Sie brauchen das Einkommen, um arbeiten zu können. Aber so denken wir im Allgemeinen nicht. Wir denken, wir bekommen das Einkommen, weil wir arbeiten. Wir denken heute verkehrt herum. Deshalb brauchen wir eine kopernikanische Bewusstseinsdenkwende.

Was motiviert Sie dazu, für ein bedingungsloses Grundeinkommen zu streiten, so wie Sie es in Ihrem gerade erst erschienenen Buch tun, „Sonst knallt‘s!, Warum wir Wirtschaft und Politik radikal neu denken müssen“, geschrieben zusammen mit Marc Friedrich und Matthias Weik?
Denken Sie an den Leitspruch der Aufklärungsbewegung: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Durch das bedingungslose Grundeinkommen wird dies erfüllt. Bekomme ich jeden Monat ein Grundeinkommen, bildet dies einen kleinen Freiheitsraum, in dem ich bescheiden, aber menschenwürdig leben kann. Ab diesem Moment bin ich nicht mehr abhängig von anderen. Weder von meinem Vorgesetzten noch von meinem Partner. Ich kann immer sagen: Das klappt mit uns nicht, ich mache etwas anderes. Und die Brüderlichkeit, heute sagt man Geschwisterlichkeit, wäre dadurch real geworden. Das heißt ja nichts anderes als: Sie haben den gleichen Anspruch auf ein Grundeinkommen wie ich. So einfach ist das.

Ökonomisch gedacht: Wieso braucht es zudem eine Änderung bei der Versteuerung?
In unserem heutigen Steuersystem besteuern wir das Einkommen und damit den Leistungsbeitrag. Das ist ein großer Fehler. Diese Art von Versteuerung kommt noch aus der Selbstversorgungszeit, als der Bauer den Zehnt abgab von seiner Ernte. Damals haben die Menschen von ihrer eigenen Produktion gelebt. Und heute leben wir von der ganzen Welt. Die ganze Welt versorgt uns, wir versorgen die ganze Welt. Das ist neu. Und es heißt, dass wir heute immer für andere leisten, nie für uns selbst. Und die ganzen finanziellen Aufwendungen, die wir haben, kommen daher, dass wir konsumieren. Somit dürfen wir nicht den Leistungsbeitrag besteuern, sondern müssen die Leistungsentnahme besteuern. Nicht die ersten 300 Liter Wasser, die man zum Leben braucht sollten die teuersten sein, und die letzten 100 Liter die billigsten, sondern umgekehrt – die ersten 300 Liter sind lebensnotwendig, die letzten 100 Liter, die man vielleicht in den Swimmingpool laufen lässt, sollten die teuersten sein. Wenn Sie in die Welt schauen, dann wird alles im Dutzend immer billiger, obwohl immer mehr Ressourcen verbraucht werden. Wir müssten eigentlich an den Punkt kommen, je mehr Umwelt man verbraucht, also die Umwelt belastet, desto teurer müsste es werden.

Ihre Argumente für das bedingungslose Grundeinkommen basieren auf einem unglaublich positiven Menschenbild: Der Mensch will sich produktiv entwickeln, hat genug eigene Motivation, um sein Grundeinkommen als Basis zu nutzen und sich dazu weitere sinnvolle Tätigkeiten selbst zu schaffen, Selbstentfaltung geht vor Profitgier. Gleichzeitig wären Sie als Geschäftsmann nicht derart erfolgreich gewesen ohne eine prinzipielle Profitorientierung, ohne die Expansion in immer mehr Filialen, und ohne das Streben nach Umsatzsteigerung…
Statt Profit sagen Sie einfach mal, dass wir etwas zustande gebracht haben für alle. Es geht nicht um den Profit für den Einzelnen, sondern um den Profit für die Gemeinschaft. Indem die Arbeitsgemeinschaft etwas umsetzt, und die Kunden dann sagen: Wir sind froh, dass hier ein dm-drogerie markt ist. Es geht um Profit im umgekehrten Sinne: um den gemeinsamen Nutzen.

Sie nehmen die Stichworte, die ich Ihnen gebe, auch die kritisch gemeinten, und geben ihnen eine positive Bedeutung. In Ihrem Denken hat jeder Baustein eine andere, bessere Bewertung. Wo bei mir ein Minus ist, steht bei Ihnen ein Plus. Sie müssen ein glücklicher Mensch sein.
Sonst hätte ich nicht so lange ein Unternehmen leiten können. Wir haben in Deutschland 40.000 Mitarbeiter bei dm. Und jeden Tag zwei Millionen Kunden. Stellen Sie sich mal vor, ich wäre der Meinung, jeder Kunde, der zu uns kommt, ist ein potentieller Ladendieb. Wenn man es so sehen würde, müsste man alle Läden schließen.

Sie könnten Ihren Mitarbeitern misstrauen, Ihren Kunden misstrauen, trotzdem Ihr Geschäft öffnen und dann eben auf maximale Ausbeutung setzen. Sie würden möglicherweise in einem gewissen Sinne erfolgreich sein, nur wahrscheinlich sehr unglücklich. Und Ihre Mitarbeiter auch.
Wahrscheinlich nicht so erfolgreich. So eine Negativstimmung befördert nicht die Kreativität.

Mitarbeiterfreundliches, ethisch motiviertes Handeln, verbunden mit wirtschaftlichem Erfolg: Wieso sind Sie damit eine solche Ausnahmeerscheinung in der deutschen Wirtschaft?
Das bin ich gar nicht. Menschen, die erfolgreich sind, machen das in den meisten Fällen intuitiv richtig. Schauen Sie sich doch mal erfolgreiche Unternehmen an, da wird vieles im Prinzip richtig gemacht, aber oft nicht bewusst. Diese Unternehmer geben vielleicht keine Interviews. Bei dm machen wir mehr als nur Zahncreme verkaufen. Das ist es, was Spuren hinterlässt. Das krasse Gegenbeispiel war im Prinzip die Methode Schlecker. An Schlecker habe ich viel gelernt. Aber nicht im positiven Sinne. Genauso darf man es nicht machen.

dm ist ein Wirtschaftsunternehmen, das auch aufgrund seine IT-Anwendungen erfolgreich ist. Die Daten Ihrer Payback-Kunden werden detailliert ausgewertet und in maßgeschneiderte Angebote umgesetzt. Sie selbst sind im Aufsichtsrat von Payback. Haben Sie selbst eine Payback-Karte und geben Ihre Daten preis? Wie passt der gläserne Kunde in Ihr Menschenbild?
Natürlich habe ich selbst eine Payback-Karte. Der Kunde ist ja nicht wirklich gläsern. Wir bekommen dadurch nur Assoziationen, können besser abschätzen, wann sich an welchem Punkt etwas verändern wird. Im Handel gibt es so viele Veränderungen, die man nicht zu früh, aber auch nicht zu spät erkennen muss. Ein Unternehmen ist wie ein Schiff – wenn Sie vorher wissen, dass da ein Riff kommt, können Sie drumherum fahren, damit Sie nicht wie die Titanic enden. Klar ist: Wenn man für Kunden tätig ist, dann muss man die Kunden mögen, an ihnen Interesse haben. Mehr als das: Man muss seine Kunden lieben. Und man sollte sich klar machen, die wichtigsten Kunden sind die eigenen Mitarbeiter. Wenn Sie Ihre Mitarbeiter nicht überzeugen, können Sie Ihre Kunden auch nicht überzeugen.

Wie gehen Sie damit um, wenn Sie in den Zeitungen lesen, „dm endet bald wie Schlecker“, es gäbe Mobbing-Vorwürfe und man habe in den Filialen systematisch die Betriebsratsarbeit erschwert?
dm ist ein großes Unternehmen. Wie in unserer gesamten Gesellschaft gibt es nichts, was es nicht gibt. So etwas gehört dazu, auch wenn es Tritte vors Schienbein sind. Wenn so etwas kommt, müssen wir korrigieren. Das ist die Aufgabe der Unternehmensleitung. Man muss sich das Ganze aber auch noch ein bisschen genauer und aus anderer Perspektive anschauen. Gehen wir mit dem, was wir machen, mit dem richtigen Bewusstsein um?

Welches Bewusstsein braucht es denn, damit Arbeitsglück für alle möglich ist?
Es ist eine Frage der Gesamtgesellschaft. Eine Frage der Kulturwerte. Nach meinen Vorträgen fragen mich die Zuhörer immer: Herr Werner, wenn Sie das bedingungslose Grundeinkommen einführen, dann arbeitet ja keiner mehr bei dm an der Kasse. Dann sage ich: Gottseidank! Daraufhin fragen die Leute: Was? Wieso? Und ich sage, nun ja, dann sieht man endlich, welche Kollegen wirklich bei uns kassieren wollen. Oder welche dies nur machen wegen des Geldes. Und dann mehr schlecht als recht. Stellen Sie sich mal vor, wir hätten nur Kassiererinnen beim dm-drogerie markt, die das alle wollen. Und nicht müssen.

Aber vielleicht wollen die Kassiererinnen lieber Filialleitung sein…
Ja, das können sie ja werden.

Da kommt dann der Konkurrenzkampf ins Spiel… oder ist das jetzt wieder im Minus gedacht?
Kein Kampf, ein Wetteifern… Beobachten Sie einmal Kinder, dieses Wetteifern ist angeboren. Im Gegensatz dazu ist ein Tier rundherum zufrieden, ein Mensch ist immer ein Stück weit unzufrieden. Tiere sind determiniert, der Mensch ist ergebnisoffen. Dadurch, dass er diese Ergebnisoffenheit hat und auch diesen Drang – wie heißt es bei Goethe: „Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst“ – damit können Sie bei jedem Menschen rechnen. Er wird seine Erfüllung suchen und die kann man auch an der Kasse bei dm finden. Fakt ist, erst in der Gemeinschaft wächst man über sich hinaus. Das Grundeinkommen braucht man, um zu leben. Für was braucht man dann noch die Arbeit? Die Arbeit braucht man, um sich zu entwickeln. Deswegen sind Biographien so interessant, dort kann man nachlesen, wie sich Menschen entwickelt haben. Tiere sterben als das, als was sie geboren worden sind. Das ist bei den Menschen anders. Wir sind Entwicklungswesen und stehen immer auf den Schultern der Gemeinschaft, nie auf den eigenen Füßen. Auf eigenen Füßen kann man – bildlich gesprochen – gar nicht stehen.


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Thema im Juni: TIERISCH GUT
Wir lieben Tiere. Und wir essen sie.
Zu Hause, in der Mast, im Zoo – geht das auch artgerecht? Wie heißt Ihr Haustier und warum? Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de

Interview: Melanie Redlberger

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Herbert Blaser, 28.04.2017

Bedingungslose Abhängigkeit

Arbeit ist in erster Linie nicht "Entwicklung" sondern "Ernährung". Herrschaftssysteme ermöglichten durch Sklaverei und Ausbeutung die heutige Situation, dass für einen Teil dieser Welt die Idee aufkommen kann, Arbeit sei Zweck zur Selbstverwirklichung. Das heisst aber, dass die Ernährung ganz dem Herrschaftssystem überlassen wird. Diese Abhängigkeit bedeutet Aufgabe der Selbstbestimmung. Eigentlich paradox. Denn die Vertreter/innen des Bedingungslosen Grundeinkommens halten ja diese persönliche Freiheit als wichtigstes Gut. Wer wird der Wirtschaft die Regeln diktieren, wenn alle bedingungslos abhängig sind?

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