Im Bochumer Oval Office stehen Umzugskartons auf der kleinen Bühne. Draußen drängeln sich die Zuschauer:innen, die etwas über Maulbeerbäume erfahren wollen, doch die kargen Premieren-Plätze im „Pay what you want“-Modus müssen limitiert bleiben. Die Bestandsaufnahme von Ursache und Wirkung ausgewanderter Menschen in Deutschland stammt von der georgischen Autorin und Regisseurin Tamó Gvenetadze, die das Gefühl und die Widerstände als AuPair selbst erlebt hat. Aber ihr Stück „Wo steht dein Maulbeerbaum?“ hat nicht nur autobiografische Zitate, sondern erzählt vom schwierigen Auswandern einer ehemaligen Straßenband in Bochum, die den Schritt aus der Heimat in den 1990ern gewagt hat.
Die Umzugskartons auf der Bühne nur mit einer weißen Matratze, die von grellem Neonlicht beleuchtet wird, enthalten die spärlichen Requisiten, die die drei Protagonisten Mercy Dorcas Otieno, Marius Huth und Risto Kübar nur benötigen, um uns ihre Geschichte zu erzählen. Mit großen Hoffnungen auf Europa zog die Band Soft Eject aus dem postsowjetischen Georgien ins wiedervereinigte Deutschland, landete in Berlin, wurde beklaut, wanderte weiter ins Ruhrgebiet nach Bochum, wo sie bei Freunden unterkam und später sogar regional bekannt wurde.
Parabel an das Nicht-Ankommen
Soweit der Ausgangsplot, der natürlich erst einmal nix mit einem Maulbeerbaum zu tun hat. Der steht eher für die Sehnsucht nach der vergangenen heilen Welt der Kindheit, aber eben auch für eine kalte Fremde, die ein Wachstum dieser Pflanze nicht möglich macht. Gvenetadze inszeniert ihre Parabel an das Nicht-Ankommen in einer neuen Heimat, die keine sein will, in ruhigen fast stillen Szenen, die ein kontinuierliches Folgen der Monologe manchmal schwierig machen, insbesondere wenn die Schauspieler:innen mit dem Rücken zum Publikum sprechen. Da werden nun Zimmerpflanzen und Papierbahnen bewegt, Marius Huth hat Maulbeerbaumsamen im Gepäck, die er trotz aller klimatischen Widerstände pflanzen will, auch das eine Art Gleichnis auf die Versuche, im fremden Land Fuß zu fassen. Aber selbst ein schützendes Gewächshaus aus Leiter und Folie hilft da nicht, auch keine Musikzitate der Band.
Kein gutes Zeugnis fürs westliche Lebensgefühl
Die Dialoge werden leiser, die Sehnsucht nach dem Geburtsort und der dort verharrenden Familie konkreter, obwohl der Erfolg im Ruhrgebiet zunimmt. Die Band kann alle Schulden zurückzahlen, Geld und Medikamente nach Georgien schicken, doch die psychische Entwurzelung wird bleiben – Deutschland scheint von allen Engeln verlassen, die man in fremden Ländern hier mit fast kindlichen Hoffnungen vermutet. Und so separiert man sich performativ im Bühnen-Raum mit weißen Kunststoffbahnen, baut eine Art Höhle, in die man sich zurückziehen kann. „Exil ist harte Arbeit“ wird darauf gesprüht, das ist der Subtext dieses Stückes, das auch die dunklen Seiten der Fremdenfeindlichkeit nicht auslässt, obwohl es eher die legale Migration nach Deutschland zum Thema hat und Flucht und Vertreibung nur am Rande mitdenkt. Falsche Vorstellungen und übermächtige Sehnsucht treiben die Bandmitglieder am Ende wieder zurück an die oft subtropische Schnittstelle zwischen Europa und Asien und es gibt kein gutes Zeugnis fürs westliche Lebensgefühl. Der Preis fürs Exil bleibt hoch und der Maulbeerbaum bleibt, wo er klimatisch eine Chance hat, zu wachsen.
Wo steht dein Maulbeerbaum? | R: Tamó Gvenetadze | So 5.2.20 Uhr | Schauspielhaus Bochum | 0234 3333 5555
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