Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.582 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Falsches Klima für Maulbeerbäume – Marius Huth, Risto Kübar, Mercy Dorcas Otieno (v.l.)
Foto: © Birgit Hupfeld

Wurzeln sind stärker als das Klima

31. Januar 2023

„Wo steht dein Maulbeerbaum?“ im Schauspielhaus Bochum – Auftritt 02/23

Im Bochumer Oval Office stehen Umzugskartons auf der kleinen Bühne. Draußen drängeln sich die Zuschauer:innen, die etwas über Maulbeerbäume erfahren wollen, doch die kargen Premieren-Plätze im „Pay what you want“-Modus müssen limitiert bleiben. Die Bestandsaufnahme von Ursache und Wirkung ausgewanderter Menschen in Deutschland stammt von der georgischen Autorin und Regisseurin Tamó Gvenetadze, die das Gefühl und die Widerstände als AuPair selbst erlebt hat. Aber ihr Stück „Wo steht dein Maulbeerbaum?“ hat nicht nur autobiografische Zitate, sondern erzählt vom schwierigen Auswandern einer ehemaligen Straßenband in Bochum, die den Schritt aus der Heimat in den 1990ern gewagt hat.

Schauspielhaus Bochum
Foto: Hans Jürgen Landes / Schauspielhaus Bochum
DAS THEATER: Das Schauspielhaus Bochum, 1919 gegründet, wird vom niederländischen Theater- und Opernregisseur Johan Simons geleitet. Zentrum des Theaters ist ein festes Schauspielensemble, mit kulturellen Einflüssen aus der ganzen Welt.

Die Umzugskartons auf der Bühne nur mit einer weißen Matratze, die von grellem Neonlicht beleuchtet wird, enthalten die spärlichen Requisiten, die die drei Protagonisten Mercy Dorcas Otieno, Marius Huth und Risto Kübar nur benötigen, um uns ihre Geschichte zu erzählen. Mit großen Hoffnungen auf Europa zog die Band Soft Eject aus dem postsowjetischen Georgien ins wiedervereinigte Deutschland, landete in Berlin, wurde beklaut, wanderte weiter ins Ruhrgebiet nach Bochum, wo sie bei Freunden unterkam und später sogar regional bekannt wurde.

Parabel an das Nicht-Ankommen

Soweit der Ausgangsplot, der natürlich erst einmal nix mit einem Maulbeerbaum zu tun hat. Der steht eher für die Sehnsucht nach der vergangenen heilen Welt der Kindheit, aber eben auch für eine kalte Fremde, die ein Wachstum dieser Pflanze nicht möglich macht. Gvenetadze inszeniert ihre Parabel an das Nicht-Ankommen in einer neuen Heimat, die keine sein will, in ruhigen fast stillen Szenen, die ein kontinuierliches Folgen der Monologe manchmal schwierig machen, insbesondere wenn die Schauspieler:innen mit dem Rücken zum Publikum sprechen. Da werden nun Zimmerpflanzen und Papierbahnen bewegt, Marius Huth hat Maulbeerbaumsamen im Gepäck, die er trotz aller klimatischen Widerstände pflanzen will, auch das eine Art Gleichnis auf die Versuche, im fremden Land Fuß zu fassen. Aber selbst ein schützendes Gewächshaus aus Leiter und Folie hilft da nicht, auch keine Musikzitate der Band.

Kein gutes Zeugnis fürs westliche Lebensgefühl

Falsches Klima für Maulbeerbäume – Risto Kübar, Mercy Dorcas Otieno, Marius Huth (v. l.) in „Wo steht dein Maulbeerbaum?“, Foto: © Birgit Hupfeld

Die Dialoge werden leiser, die Sehnsucht nach dem Geburtsort und der dort verharrenden Familie konkreter, obwohl der Erfolg im Ruhrgebiet zunimmt. Die Band kann alle Schulden zurückzahlen, Geld und Medikamente nach Georgien schicken, doch die psychische Entwurzelung wird bleiben – Deutschland scheint von allen Engeln verlassen, die man in fremden Ländern hier mit fast kindlichen Hoffnungen vermutet. Und so separiert man sich performativ im Bühnen-Raum mit weißen Kunststoffbahnen, baut eine Art Höhle, in die man sich zurückziehen kann. „Exil ist harte Arbeit“ wird darauf gesprüht, das ist der Subtext dieses Stückes, das auch die dunklen Seiten der Fremdenfeindlichkeit nicht auslässt, obwohl es eher die legale Migration nach Deutschland zum Thema hat und Flucht und Vertreibung nur am Rande mitdenkt. Falsche Vorstellungen und übermächtige Sehnsucht treiben die Bandmitglieder am Ende wieder zurück an die oft subtropische Schnittstelle zwischen Europa und Asien und es gibt kein gutes Zeugnis fürs westliche Lebensgefühl. Der Preis fürs Exil bleibt hoch und der Maulbeerbaum bleibt, wo er klimatisch eine Chance hat, zu wachsen.

Wo steht dein Maulbeerbaum? | R: Tamó Gvenetadze | So 5.2.20 Uhr | Schauspielhaus Bochum | 0234 3333 5555

Peter Ortmann

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Ehrung für ein Ruhrgebiets-Quartett
Verleihung des Brost-Ruhr-Preises 2024 in Bochum – Spezial 11/24

Postapokalyptische Manege
„Essence“ von Urbanatix am Schauspielhaus Bochum – Bühne 02/24

„Ich hoffe doch, dass wir alle überleben“
Regisseurin Linda Hecker über „Totalausfall“ am Schauspielhaus Bochum – Premiere 11/23

Neues Publikum
Land NRW verstetigt das Förderprogramm Neue Wege – Theater in NRW 11/23

Hunderte gelbe Schuhe auf Pump
„Der Besuch der alten Dame“ in Bochum – Bühne 02/22

Unerfüllte Liebe potenziert die Poesie
Christopher Rüping mit „Das neue Leben“ am Bochumer Schauspielhaus – Auftritt 02/22

Die Toten und die Politiker
„Antigone. Ein Requiem/ Die Politiker“ in den Kammerspielen Bochum – Bühne 12/21

Gemeinsam für Nachhaltigkeit
Diskussionsreihe im Bochumer Forum

Am Ende bleibt der Schmelztiegel
Dušan David Pařízek inszeniert „Peer Gynt“ in Bochum – Bühne 05/21

Selbst der Muezzin ruft um Hilfe
Aischylos‘ Orestie als Kriegsberichterstattung in Mossul – Auftritt 06/19

Moderne Klassiker und mystische Rituale
Bühnen-Vorschau: Leonce & Lena, Verbrechen & Strafe, Medea.Matrix

Die Krallen der Familie
Dennis Kellys „Waisen“ am Bochumer Schauspielhaus – Theater Ruhr 06/16

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!