Dicht an dicht kuscheln sich die Besucher in den Vorraum des Eulenspiegelkinos. Viele unterhalten sich, manche lassen ihre Blicke über alte Kinoplakate schweifen oder betrachten die alten Kameras hinter den Glasvitrinen. Dazwischen gibt es Begrüßungssekt und Häppchen, kurzum: alles hat das Ambiente einer stillvollen, kleinen Feier. Das ist dem Anlass angemessen, schließlich blickt das Essener Stadtteil- und Programm-Kino Eulenspiegel auf eine nunmehr 60-jährige Vergangenheit zurück.
Architekt Karl Uhlendahl errichtete das Eulenspiegel in den 50ern, als die Steeler Straße noch eine Mischung aus Trümmerfeld und Baustelle war. Viele Kinos wurden in dieser Zeit gegründet, weiß Eulenspiegel-Mitbetreiberin Marianne Menze. Das Eulenspiegel konnte sich als eines der wenigen halten. Seit 1980 ist Menze mit im Boot, als Hans-Peter Hüste von den Essener Filmkunsttheatern es übernommen hatte, mit dem Ziel, aus dem Stadtteil- und Familienkino eine Arthouse-Leinwand zu machen.
Fotos flimmern auf der Kino-Leinwand, die von der bunten Geschichte des Filmtheaters zeugen. Die Gäste sammeln sich im, übrigens denkmalgeschützten, Saal und auf der Kinoorgel spielt Dominik Gerhardt, die Fotoserie begleitend als wäre es ein Stummfilm.
„Das entsteht alles im Moment“, sagt der Musiker, der seit über sieben Jahren Stummfilme im Eulenspiegel begleitet – und zwar stets improvisiert. Im vergangenen Juli war er sogar unter den Preisträgern des ersten internationalen Kinoorgelwettbewerbs, wie er stolz erzählt. Was den Orgel-Improvisateur besonders an den Stummfilm-Abenden im Eulenspiegel freut, ist das Instrument, aus dessen Tasten er Musik zaubern darf: „Das ist eine echte Wurlitzer“, erklärt er. Die Marke Wurlitzer, die bis in die 70er hinein Orgeln für Filmbegleitung baute, ist selbst ein Stück Kinogeschichte. „Ein außergewöhnliches Instrument“, sagt Gerhard ehrfürchtig.
Und während Gerdhard spielt, flimmern die Erinnerungen auf der Leinwand: Fotos vom Eröffnungsabend, an dem Marlon Brandos Napoleon-Drama „Desirée“ die 60jährige Geschichte des Eulenspiegels einläutete. Fotos von zahlreichen Konzerten, Bilder von Gästebucheintragungen berühmter Gäste wie Dieter Hildebrandt, Campino, den Comedian Harmonists oder Wim Wenders. Und auch ein schwarz-weiß-Bild der Steeler Straße in den 50ern: Baugerüste und Betonmischer versperrten noch den Blick auf den kleinen Kinoeingang.
Auf Gäste wie Wim Wenders oder Christoph Schlingensief ist Marianne Menze natürlich besonders stolz. Auch an den langen Filmnächten hängen schöne Erinnerungen – manchmal verschwanden die Kinofreunde von 23 Uhr Abends bis 7 Uhr Morgens in den fantastischen Welten auf der Leinwand. Auch kuriose Abende behält sie gerne in Erinnerung, zum Beispiel die Premiere von „Jenseits der Stille“, 1996: Das deutsche Drama erzählt die Geschichte von Lara, Tochter zweier gehörloser Eltern. Auch einige Schauspieler im Film, die am Premierenabend zugegen waren, waren gehörlos. Und so galt es, das Gespräch zum Film auf Gebärdensprache zu übersetzen – nicht zuletzt wegen der 300 gehörlosen Filmfans, die sich an diesem Abend im Kinosaal versammelt hatten. Eine zusätzliche Herausforderung: Die Übersetzung musste in deutscher und französischer Gebärdensprache stattfinden, da einige der gehörlosen Schauspieler Franzosen waren, und sich die Gebärdensprache je nach Nationalität unterscheidet. „So eine abgefahrene Vorstellung“, sagt Menze.
Doch trotz Nostalgie und Festtagsstimmung ging es auch an diesem Abend im Kern um einen Film: Seinen geburtstag feierte das Eulenspiegel nämlich mit der Vorpremiere von Xavier Gianollis Drama „Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne“.
Der trailer gratuliert zum 60-jährigen Geburtstag – auf die nächsten Jahre Filmkunst im Stadtteilkino.
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