Das war schon ein buntes Leben mit Pop in den 60ern und 70ern. Schön, dass die Kunsthalle Düsseldorf unter diesem Titel dem damaligen kulturellen Lebensgefühl eine ganze Ausstellung widmet und auch eine Reproduktion des sogenannten „Kapitalistischen Realismus“ versucht. Wie immer muss da zuerst die Frage nach dem links oder rechts beantwortet werden, witzigerweise heißt in der ersten Etage der Kunsthalle links herum gehen eher Theorie, rechts die Praxis des Kulturbetriebes in den frühen Jahren des Kunstmarkt-Aufbruchs, der erst in einem schier uferlosen Kunstkapitalismus-Hype der 1980er enden sollte. Zwei der Künstler von damals, die den Begriff des Kapitalistischen Realismus vor genau 50 Jahren geprägt haben, waren und sind bis heute in den kaum zu durchschauenden Marktmechanismen des Kunstmarkts verstrickt.
Den Kunststudenten ging es in den frühen 1960ern nicht gut. 1963 organisierten Manfred Kuttner, Konrad Lueg, Sigmar Polke und Gerhard Richter (allesamt Abgänger der Düsseldorfer Kunstakademie) in der Stadt ihre Ausstellung in einem leerstehenden Ladenlokal erst einmal selbst, schrieben Briefe an den Kultusminister und kämpften ums künstlerische Überleben. Zahlreiche Dokumente zeugen von diesen Aufbruchjahren, deren Schwierigkeiten sich bis heute wohl nicht geändert haben. Für die Fleischerei-Ausstellung prägten die vier das Label „Kapitalistischer Realismus“, auch als augenzwinkernder Hieb gegen die vermeintliche Katalogisierung der damaligen Kunst. Wenn man also in der Kunsthalle erst einmal rechts herum geht, steht man vor einer riesigen Bilderwand eines Möbelhauses. Davor parken ein Mercedes-Benz und ein VW-Käfer. Hier veranstalteten Lueg und Richter auch 1963 ihre legendäre Aktion „Leben mit Pop – Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus“. Ein halbes Jahrhundert später arbeitet die Ausstellung „Leben mit Pop – Eine Reproduktion des Kapitalistischen Realismus“ das Phänomen, das als Synonym für eine kurze Periode einer spezifisch westdeutschen Nachkriegskunst gesehen werden kann, erstmals umfassend auf und beleuchtet seine gegenwärtige Relevanz.
Alle Arbeiten werden als Kunstdrucke gezeigt, nicht nur weil die Originale inzwischen unbezahlbar geworden sind, sondern auch um das damalige ironisches Manifest der kapitalistischen Realisten: „Alle Maler sollten Fotos abmalen“ zu erfüllen. Ihr Verhältnis zur Nachkriegs-Gesellschaftsform war allerdings von Anfang an ambivalent. Zwar kritisierten sie Wirtschaftswunder und fehlende Vergangenheitsbewältigung, doch ihr Drang an die Fleischtöpfe der kulturellen Republik war marktstrategisch clever und medienwirksam geplant. Aufhalten ließen sich wie man heute weiß insbesondere Polke und Richter nicht. Ein Jahr nach dem Möbelhaus Berges-Coup fand mitten im verschneiten Winter die berühmt gewordene Vorgartenausstellung vor der Wuppertaler Galerie Parnass statt, die zu einer Zusammenarbeit mit dem Galeristenehepaar Jährling führte.
Eine weitere Sektion der Ausstellung beleuchtet die Anfänge von René Block in Berlin, der den Begriff bei der Gründung seiner ersten Galerie 1964 als Leitmotiv wählte und politisierte, und auf der linken Seite der Kunsthalle wird der Impuls des Fluxus (1962-64) auf die Künstler thematisiert. Hier sieht man dann auch schon mal den jungen Nam June Paik in einer Galerie in Filzpantoffeln.
Leben mit Pop | Bis 29. September 2013 | Kunsthalle Düsseldorf | 0211 899 62 43
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