Umbau statt Sprengung: Der massige Hochbunker am Hauptbahnhof öffnete sich nach dem Weltkrieg für aktuelle Kunst. Im Mai 1950 lud die nagelneue Kunsthalle zur ersten Ausstellung auf drei Ebenen. Das ist nun 75 Jahre her. Den Auftakt zum Jubiläumsjahr 2025 setzt eine Retrospektive in eigener Sache mit Bildern und Skulpturen aus Präsentationen der Anfangszeit –mit Blick auf die damalige Inszenierung zeitgenössischer Kunst für ein kulturell ausgehungertes Publikum, das nach Jahren der Naziherrschaft und Kriegsschrecken nach frischen Farben, Formen und Innovationen gierte.
Das Ausstellungsdesign zog mit. Hauptsache neu und nicht piefig: Farbenfrohe abstrakte und informelle Malerei an Holzgestellen, vor farbigen Wänden oder direkt auf den Putz gemalt, mal eingehängt in spacige Stelzen-Displays, mal in Vitrinen im Spotlight von Tulpenlampen. Skulpturen standen einst neben Designobjekten auf Sockellandschaften oder in durchscheinenden, in geschwungene Raumteiler eingelassenen Tageslichtvitrinen. Auch Vorhänge setzten Akzente. Solche Gestaltungsaspekte ließ das Kunsthallen-Team nach historischen Aufnahmen 1:1 nachbauen.
Zu sehen ist daher keine gewöhnliche Kunstausstellung mit einzelnen Werken im Fokus. Dass im Erdgeschoss Künstler der lokalen Gruppierung Junger Westen um Grochowiak, Schumacher & Co. gezeigt werden und im Mittelgeschoss nur Werke von Künstlerinnen, erfährt man nicht aus (störender) Beschilderung, sondern nur mittels Begleitbroschüre oder dezent platzierten QR-Codes. Auch, von wem die Skulpturen im Obergeschoss stammen. Dort offenbart zudem ein großes Fototableau mit Bunker- und Ausstellungsansichten aus den 50ern, was hier und heute bewusst fehlt: gemütliche Sitzecken, Nierentisch, Gummibaum sowie Alltagsdesign – Mixer, Toaster, Föhn –, das in der Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit als formbewusste Gestaltungen der Kunstproduktion gleichgestellt war.
Eine kulturgeschichtliche Rekonstruktion sollte die Schau aber auch explizit nicht werden. Zwei weitere Erinnerungsaspekte aus dem Kunstbetrieb sind dem Ausstellungsteam mindestens genauso wichtig: die Wiederentdeckung vergessener Künstlerinnen und die Aktivitäten der Gruppe Junger Westen, in deren Namen bis heute ein renommierter Kunstförderpreis ausgelobt wird. Dazu mehr gegen Jahresende.
Die Anfänge: Radical Innovations | bis 6.4. | Kunsthalle Recklinghausen | 02361 50 19 35
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