Schiffe, Computertechnik oder Bauwerke wurden nach ihr benannt: „Aurora“, eine römische Göttin und Schwester des Sonnengottes Sol und der Mondgöttin Luna, firmierte in den letzten Jahrhunderten als beliebte Namensgeberin für technische Innovationen oder architektonischen Prunk. Das liegt auch an der Etymologie des Namens: Aurora ist die lateinische Bedeutung von Morgenröte, und die bedeutete nicht nur eine rötliche Dämmerungserscheinung des Osthimmels. Aurora gilt vielmehr als Chiffre für Aufbruch und Neuanfang.
Jenseits der Physik, Nautik oder Architektonik versprüht Aurora also noch eine Magie, einen Zauber des Anfangs, den Herrmann Hesse mal bekanntlich dem Neubeginn zusprach. Dass sich all diese Assoziationen im Zwischenmenschlichen und Gemeinschaftlichen finden lassen, beweist die Choreografin Roser López Espinosa, die mit ihrer jüngsten Produktion das Grau des Gestern wegtanzen lässt. In „Aurora“, einem Tanzabend mit Musik von Mark Drillich, erkundet sie einmal mehr die physischen Grenzen des menschlichen Körpers.
Und so ein individueller Körper kann sein Limit eben nicht nur in der Physik erproben, sondern auch mit und durch den Anderen, kurz: in der Gemeinschaft. Wie das geht, demonstrierte Espinosa etwa im Kinderstück „November“. In diesem Knotenspiel legten, windeten oder stapelten sich die Bühnenakteure auf- und ineinander. Bis sie sich wieder gemeinsam aus diesem Körperknoten entwirren mussten, um anschließend loszutanzen.
Ein akrobatisches Miteinander war es auch, was Espinosa in „Fine Lines“ choreografierte. In der Aufführung beim Holland Dance Festival wirkten zwei Frauen auf der Bühne, eine von ihnen war auf den Rollstuhl angewiesen. Aus der Ausgangslage eines körperlichen Ungleichgewichts erprobte Espinosa ein Kraftfeld, indem die beiden Tänzerinnen das Ungleichgewicht der anderen nutzten, um dynamische Bewegungen zu zelebrieren.
Eine solche, unerwartete Akrobatik ist sicher auch in „Aurora“ zu erwarten, ein Tanzabend, den Espinosa gemeinsam mit Giuseppe Spota, dem Direktor der MiR Dance Company, konzipierte. Schließlich dreht sich die Choreografie im Musiktheater im Revier um die Aurora-Assoziationen des Glücks eines Neuanfangs. Bestimmt nicht ohne ein Miteinander.
Aurora | C: Roser López Espinosa | Sa 29.10. 19.30 Uhr | Musiktheater im Revier Gelsenkirchen | 0209 409 72 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Musik im Knusperhäuschen
„Hänsel und Gretel“ am MiR Gelsenkirchen
Horror und Burleske
Die Spielzeit 24/25 am Gelsenkirchener MiR – Oper in NRW 07/24
Die Seele geraubt
„Hello Dolly“ am Gelsenkirchener MiR – Musical in NRW 04/24
Täuschung und Wirklichkeit
Ein märchenhafter Opern-Doppelabend in Gelsenkirchen – Oper in NRW 02/24
Hochzeiten und Hüte
„Hello, Dolly“ am MiR in Gelsenkirchen – Tanz an der Ruhr 01/24
Neues Publikum
Land NRW verstetigt das Förderprogramm Neue Wege – Theater in NRW 11/23
Schwofende Schwellenfigur
„Don Q“ am Musiktheater im Revier – Tanz an der Ruhr 10/23
Fiasko in forschem Ton
„König für einen Tag“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 07/23
„Die kleinen Leute dürfen frech werden“
Dietrich W. Hilsdorf inszeniert „Bernarda Albas Haus“ in Gelsenkirchen – Interview 05/23
Eisige Herrschaft
„Bernarda Albas Haus“ am MiR in Gelsenkirchen – Oper in NRW 04/23
Das Meer spiegelt die Gefühle
„Billy Budd“ am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen – Oper in NRW 03/23
Köstliches Vergnügen
„Drei Männer im Schnee“ in Gelsenkirchen – Theater an der Ruhr 10/22
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
„Was dieser Mozart gemacht hat, will ich auch machen“
Komponist Manfred Trojahn wird 75 Jahre alt – Interview 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24
Das gab es noch nie
Urbanatix im Dezember wieder in Essen – Bühne 10/24
Die Zwänge der Familie
„Antigone“ in Duisburg – Prolog 09/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24