Die Rollläden gehen auf und geben den Blick auf die gute Designerstube von Henriette und Raimund frei – ein echtes „Power-Paar“: sie, die EU-Abgeordnete, er, der „grüne Unternehmer des Jahres“. Beide sind so richtig fitte, globale Leistungsträger. Aber auch die Erfolgsverwöhnten haben so ihre Sorgen: die chinesische Sim-Card im belgischen Taxi, Affären, Depressionen und quälende Einsamkeit, wenn die 80 Stunden-Woche ihrem Ende entgegenkriecht. Auch das Verhältnis zum Sohnemann, dem Journalisten/Blogger, ist alles andere als liebevoll. Vor allem, da er anstelle des Prinzips Leistung die systematische Demontage des bürgerlichen Scheins vorantreibt, indem er unbequeme Wahrheiten ans Licht seiner Kamera zerrt: Ist es möglicherweise mit dem Umweltschutz doch nicht so weit her, und helfen dabei sogar EU-Subventionen, die das „Networking“ der Göttergattin ermöglicht haben? Da klingelt auf einmal die Normalität an der Tür. Die Normalos, das sind Steffi und Rick, und sie sind gekommen, um zu bleiben. Setzen sich einfach aufs weiße Sofa und weigern sich höflich, aber bestimmt zu gehen. Ihr Leben ist die banale Kehrseite der flotten Welt der globalen Märkte, sie sind die outgesourceten Mängelexemplare. Ab hier könnte der Sozialkitsch losgehen, eine rührselige Geschichte von den kleinen Leuten und denen da oben. Tut er aber glücklicherweise nicht. Stattdessen geht es rasant hinab in menschliche Abgründe in Zeiten des globalen Kapitalismus.
Der mit renommierten niederländischen Kulturpreisen dekorierte Autor und Regisseur Eric de Vroedt feiert am Schauspiel Dortmund sein deutschsprachiges Debüt. Titel und Thema folgen dabei seinem bisherigen Schaffen. Mit seiner zwischen 2003 und 2012 entstandenen Reihe „Mightysociety“, die zehn Stücke umfasst, setzte er sich bereits mit der komplexen politischen Wirklichkeit in einer globalen Zeit auseinander. Auch sein Dortmunder Abend steht unter diesem Zeichen. Allerdings erwartet die Zuschauenden kein dröges, moralisierendes Polit-Theater, sondern, vor allem dank der großartigen SchauspielerInnen, ein spannungsgeladener Abend, irgendwo zwischen „Funny Games“ und „Der Gott des Gemetzels“.
„MightySociety“ I So 12.5. 18 Uhr I Studio Dortmund I 0231 502 72 22
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