Da ist sie wieder, diese merkwürdig heimelige Zeit, die für alle immer früher beginnt und doch für Erwachsene immer schneller zu Ende geht. Alles ist erleuchtet. So lautet auch der Titel des Romans (2002) des jungen jüdisch-amerikanischen Kult-Schriftstellers Jonathan Safran Foer, dessen Geschichte zur Adventzeit im Essener Grillo-Theater gespielt wird: Foer macht sich darin in der Ukraine auf die Suche nach der Frau, die seinen Großvater 1942 vor den Nazis gerettet haben soll. Als Dolmetscher engagiert er den Ukrainer und Nachwuchs-Romancier Alex.
Dummerweise entstammen dessen „erstklassige“ Englischkenntnisse doch eher dem Selbststudium und nicht zuletzt seiner Liebe zur amerikanischen Popkultur. Als Chauffeur fungiert dessen Großvater, nach eigener Auskunft blind und ganz offenbar völlig orientierungslos. Die abenteuerliche Reise des ungleichen Trios führt sie quer durch die Ukraine und in so manche absurde Situation. Missverständnisse sind vorprogrammiert. Angesichts der mittlerweile veränderten politischen Situation im Land hat das Stück einen ganz besonderen, eigentlich nicht beabsichtigten Subtext.
Den besonderen Subtext hat auch das Kinderstück für Erwachsene im Forum Freies Theater in Düsseldorf. Oder wollten Sie nicht auch einmal wissen, wie Carlo Collodi eigentlich seinen hölzernen „Pinocchio“ gefunden hat. Das DüsseldorferKult-Duohalf past selber schuld hat da nämlich seine ganz eigene Theorie. In einer Mischung aus Mocumentary und Splatter-Movie erzählen sie in ihrem „Pinocchio Sanchez“ von einem Kriegsveteranen mit hölzernen Prothesen. Auch nicht schlecht, vielleicht mal für eine Weihnachtsfeier von Rheinmetall in der Vorweihnachtszeit. Ein schauriger Bühnencomic mit selbstgebauten Puppen, animierten Requisiten und einem beeindruckenden Soundtrack? Da können die ollen Kriegsausstatter doch auch mal gequält lächeln.
Wen das bereits alles überfordert, dem empfehlen wir eben die Premiere von „Das Maschinengewehr Gottes“ in Dortmund. Das ist eine Kriminal-Burleske aus dem Messdienermilieu von Kult-Regisseur Wenzel Storch. Es spielt in den wilden 60ern, als die katholischen Kirchendiener noch heilig waren, obwohl da bereits derGlorienschein viele, viele Flecken hatte. Egal.Die Messdiener Heiner und Lutz leben mit Egon, ihrem Oberministranten, in einem alten Pfarrhaus. Der Garten ist verwildert und die Kirche nur noch ein Trümmerhaufen. Kaplan Buffo ist spurlos verschwunden. Also wird beim Christlichen Kaufhaus ein neuer Priester bestellt, der im Herbst/Winter-Katalog als besonders preiswert angeboten wird. Sein vielversprechender Name: Das Maschinengewehr Gottes. Dumm nur, dass das wohl eher ein anarchischer Roboter-Seelsorger aus Oberschlesien mit Hang zum Amoklauf ist. Wir wünschen jedenfalls einen frohen Advent.
„Alles ist erleuchtet“ | 19.12., 24.1. 19 Uhr | Grillo-Theater Essen | 0201 812 26 00
„Pinocchio Sanchez“ | 4., 5., 11., 12.12. 20 Uhr | FFT Düsseldorf | 0211 87 67 87 18
„Das Maschinengewehr Gottes“ | 10., 11., 17., 27.12. 20 Uhr | Studio Theater Dortmund | 0231 502 72 22
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Kontinuierliche Transformation
„Club27“ im tanzhaus NRW – Prolog 06/23
„Der ganze Essener Norden soll verschwinden“
Regisseur Volker Lösch über sein Theaterstück „AufRuhr“ – Premiere 12/21
Drei wilde C´s im Schnee
„After Midnight“ im Essener Grillo – Theater Ruhr 02/20
Das rituelle Begräbnis von Visionen
„Proletenpassion“ zum Ende des Bergbaus in Essen – Auftritt 06/18
Bildersturm ohne Wolken
„Der Fall der Götter“ in Essen – Theater Ruhr 05/18
„Der ewige Konflikt zwischen Mensch und Maschine“
Nils Voges zur Inszenierung von „Metropolis“ im Theater Essen – Premiere 02/18
Der Maulwurf aus Bottrop
„Jupp – Ein Maulwurf auf dem Weg nach oben“ in Essen – Theater Ruhr 12/17
„Der Körper ist auch elastisches Material“
Choreografin Prue Lang über „Zaurak“ im Tanzhaus NRW – Tanz 12/17
Viele Feuer und einige Fäkalien
Das Dortmunder Theater hat es geschafft: Premieren im alten Haus – Prolog 11/17
Im Darkroom der Geschichte
Ariel Efraim Ashbel bei den Impulsen in Düsseldorf – Theater Ruhr 07/16
Yes, we can
„Anatevka“ in Bonn und „My Fair Lady“ in Essen – Musical in NRW 05/16
Polnische Raps und verspielter Jazz
Schauspieler Mateusz Dopieralski rappte in der Heldenbar in Essen – Musik 01/16
Ein zeitloser Albtraum
Franz Kafkas „Der Prozess“ im Bochumer Prinz Regent Theater – Prolog 12/24
„Vergangenheit in die Zukunft übertragen“
Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe über „Give up die alten Geister“ in Bochum – Premiere 12/24
Die Grenzen der Bewegung
„Danses Vagabondes“ von Louise Lecavalier in Düsseldorf – Tanz an der Ruhr 12/24
Stimme gegen das Patriarchat
„Tabak“ am Essener Grillo-Theater – Prolog 11/24
Freigelegte Urinstinkte
„Exposure“ auf PACT Zollverein in Essen – Prolog 11/24
Krieg und Identität
„Kim“ auf PACT Zollverein in Essen – Tanz an der Ruhr 11/24
„Ich glaube, Menschen sind alle Schwindelnde“
Regisseurin Shari Asha Crosson über „Schwindel“ am Theater Dortmund – Premiere 11/24
Liebe ist immer für alle da
„Same Love“ am Theater Gütersloh – Prolog 11/24
Bollwerk für die Fantasie
Weihnachtstheater zwischen Rhein und Wupper – Prolog 10/24
Mentale Grenzen überwinden
„Questions“ am Münsteraner Theater im Pumpenhaus – Prolog 10/24
Der Held im Schwarm
„Swimmy“ am Theater Oberhausen – Prolog 10/24
Torero und Testosteron
„Carmen“ am Aalto-Theater in Essen – Tanz an der Ruhr 10/24
„Hamlet ist eigentlich ein Hoffnungsschimmer“
Regisseurin Selen Kara über „Hamlet/Ophelia“ am Essener Grillo Theater – Premiere 10/24