So viel Leben passt eigentlich nicht in ein Leben. Was Marita Lorenz durchgemacht hat, ob erzwungen oder selbstverschuldet, reicht bei anderen für mindesten drei komplette Existenzen: Sie hat mit ihrer Mutter das KZ überlebt, sie war die Geliebte Fidel Castros, wurde zu einer Abtreibung gezwungen, war Agentin der CIA, sollte Castro ermorden, schmuggelte Waffen, überlebte neun Mordanschläge – und das ist beileibe nicht alles. Nicht weiter verwunderlich, dass das Theater an einem solchen Stoff Gefallen findet. Was es damit jenseits biografischen Sightseeings erzählen will, ist die andere Frage.
Das Theater Oberhausen beauftragte den Dramatiker Dominik Busch, der sogar noch Gelegenheit hatte, mit Marita Lorenz persönlich zu sprechen, bevor sie im Sommer in Oberhausen starb. Sein Stück „Alles ist wahr – Die neun Leben der Marita Lorenz“ greift verschiedene Stationen heraus wie Kindheit und Jugend, die erste Begegnung mit Castro 1959, die Abtreibung, das Engagement bei der CIA und einem Attentatskommando sowie das Altersheim. Dominik Busch beschreibt diese Stationen in einer farbigen Sprache, die vor Einfühlung nicht zurückschreckt. Hausregisseurin Babett Grube kontert diese Strategie, indem sie alle Rollen von vier Frauen in schwarzen Hosen und olivgrünen Blusen bzw. Uniformjacken (Kostüme: Hsin-Hwuei Tseng) verkörpern lässt (Susanne Burkhard, Shari Asha Crosson, Elisabeth Hoppe, Nina Karimy). Das Quartett wechselt sich als Marita ab. Die anfangs distanzierte Erzählhaltung gewinnt ganz allmählich an szenischer Prägnanz. Da werden es vor dem Rundhorizont mit Foto-Projektionen (Bühne: Marie Gimpel) Schießübungen und Mutproben veranstaltet. Marita begegnet auf einem abstrahierten Schiff dem venezolanischen Ex-Diktator Jiminez, mit dem sie die Tochter Monica zeugt – und einem Anschlag entgeht.
Der Abend changiert zwischen Erinnerung und Vergegenwärtigung und doch kommt man Marita Lorenz nicht wirklich nah. Man versteht weder ihre Seitenwechsel, noch die Sehnsucht nach dem ständigen Agenten-Thrill. Eine politische Haltung ist auch nirgendwo in Sicht. Oder geht es um eine dezisionistische Lebensführung ohne jede moralische Grundierung? Die Frage, was dieses Leben uns sagen soll, bleibt so letztlich genauso im Dunkel wie eine Geheimdienstoperation.
„Alles ist wahr“ | R: Babett Grube | 9., 23., 30.11. je 19.30 Uhr | Theater Oberhausen | 0208 85 78 18 4
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