Essen, 28. November: Ein großes Team rund um den Regisseur Christian Schwochow war zur deutschen Kinopremiere von „Paula“ in die Essener Lichtburg gekommen. Doch dann dreht sich doch alles um die junge Schauspielerin Carla Juri, die in der Rolle der Paula Modersohn-Becker mit Charme und Witz das Publikum bezaubert. Vor dem Filmplakat mit ihrem eigenen Gesicht in Großaufnahme wirkt sie nahbar, und auf dem roten Teppich gibt sich die sympathische Schweizerin bei eiskalten Temperaturen unkompliziert und freundlich. Gemeinsam mit ihren hervorragenden PartnerInnen Roxane Duran („Das weiße Band“) in der Rolle der Clara Rilke-Westhoff und Albrecht Abraham Schuch, der Paulas Ehemann Otto Modersohn spielt, trägt sie den Historienfilm durch jede Szene.
Schon 1900 stößt Paula Becker zu der jungen Künstler-Kolonie in Worpswede. Der Film erzählt das Leben der Ausnahmekünstlerin als romantische und zuweilen tragische Liebesgeschichte. Ganz im Stil einer typischen Genie-Erzählung, die sonst meist männlichen Künstlern vorbehalten ist, stellt der Film Paula Becker als Malerin dar, die zwar von der Kunst-Welt und dem Publikum nicht verstanden wird, aber unablässig ihrem inneren Kompass folgt und dabei Meisterwerke schafft. Die Protagonisten und das Setting bieten reichlich Stoff: Da ist eine intensive, aber sexuell unbefriedigende Ehe mit Otto Modersohn, der nie an die künstlerische Schaffenskraft seiner Frau heranreicht. Da ist der junge Rainer Maria Rilke, der sie nach fünf trockenen Jahren in Worpswede nach Paris lockt. Da ist der feurige französische Liebhaber. Und da ist die unbändige Leidenschaft und Energie einer Frau, die ihrer Zeit weit voraus ist und bereits mit Anfang Dreißig viel zu jung sterben muss.
Nach dem gut zweistündigen Film applaudiert das reife Publikum mit viel Sympathie dem Team, vor allem Albrecht Abraham Schuch, der mit launigen Anekdoten amüsiert. Doch Jubel und Begeisterung reservieren die Zuschauer für die Hauptdarstellerin Carla Juri, die man vor drei Jahren in Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ ähnlich energiegeladen erlebt hatte. Regisseur Christian Schwochow, der sonst selbst für seine Drehbücher verantwortlich zeichnet, hatte es bei „Paula“ mit einem fremden Stoff zu tun. „Das muss ich machen“, sei seine spontane Reaktion gewesen, als man ihm die Geschichte angeboten habe. Ihm sei es dabei nicht um eine Eins-zu-eins-Verfilmung der historischen Ereignisse gegangen, sondern um die eigene Interpretation und was diese Figur uns heute noch erzählen kann. Carla Juri konnte auf eine gut dokumentierte Biografie zurückgreifen, um sich auf die Rolle vorzubereiten. Besonders hilfreich seien ihr dabei die Tagebücher der Künstlerin gewesen, erzählt sie auf der Bühne.
Der Eindruck, dass sich das Drehbuch-Team vor allem für das dysfunktionale Liebesleben der Modersohns interessierte, verstärkt sich, als Stefan Kolditz über den langjährigen und engen Kontakt im Rahmen der Drehbuch-Recherche zu Otto Modersohns Sohn aus erster Ehe berichtet. So wäre es gelungen, exklusiv das Rätsel zu lösen, warum die beiden fünf Jahre lang nach der Hochzeit keinen gemeinsamen Sex hatten. Ob dieser dramaturgische Schwerpunkt hilft, das künstlerische Werk von Paula Modersohn-Becker zu entschlüsseln?
„Paula“ startet am 15. Dezember in den Kinos.
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