Der Himmel über dem Dortmunder Stadion war blau-weiß. Doch beim Betreten des Stadions drängte sich unweigerlich ein Déjà-vu auf: Der BVB wird Deutscher Meister und LMBN kommen ins Dortmunder Stadion. Die erste dieser beiden Tatsachen freute die gen Himmel schauenden Zuschauer zwar weniger, die zweite aber umso mehr. Denn auch die zweite Show der Lesebühne mit sinnentleerter Abkürzung war in dieser Kulisse ähnlich spektakulär wie im Vorjahr – unabhängig der Vereinszugehörigkeit. Dabei trat die Lesebühne nicht in Stammbesetzung auf: Sulaiman Masomi, Mischa-Sarim Vérollet und Andy Strauß mussten ohne Sebastian 23 auskommen, der sich, frisch verheiratet, im „Vaterschaftsurlaub“ befände.
Für Ersatz sorgten die Gäste Volker Strübing und Ben Redelings. Schon bei deren Vorstellung gewann der Berliner Strübing mit seinem Bekunden: „Gut, dass man das Stadion mal für was Vernünftiges nutzt“, sofort die Herzen aller Nicht-Dortmunder. Für Ben Redelings, der mit Poetry Slams und Lesebühnen nicht allzu vertraut war, erklärte Andy Strauß die Lesebühne LMBN: „Wenn du zu McDonalds gehst, weil du Hunger hast, und im McDonalds steht ein Safranhändler, der seine Spezialitäten feilbietet, und du dann lieber dieses Exquisite nimmst: Das ist LMBN“.
Im Hintergrund zeichnete Speed-Painter Artur Fast auf der 200m2 großen Leinwand, die in der fußballfreien Zeit für die Reihe „Kino im Stadion“ genutzt wird, und DJ Nachtfalke sorgte am Mischpult für den entsprechenden Sound.
Safranhändler im Bademantel
Es begann Sulaiman Masomi, der eine Hoffnung auf „eine gediegene Lesebühne von auserwählten Deutschen“ sofort zerschlug: „Ich komme aus Afghanistan und vielleicht habe ich eine Bombe dabei. Vielleicht sogar unter deinem Sitz…“. Von Klischees zu seiner Person ging er über zu seinem Text, in dem er selbst nicht an Klischees über Frauen jenseits der Dreißig sparte. Während sich Strübing dem gesellschaftlich-körperlichen Idealisierungswahn in Fitness-Studios - oder wie er es ausdrückte: Fettgewebskrematorien – widmete, lieferte Vérollet mit seinem späteren Bericht zur Berlin Fashion Week und den körperlichen Gegebenheiten der dortigen Models ein thematisches Pendant.
Ben Redelings mit seinen Fußballgeschichten passte wohl eher theoretisch zur Kulisse, praktisch aber weniger zu LMBN. Mit seinen Anekdoten, beispielsweise über Otto Rehhagel auf einer Pressekonferenz, sprach er ein eher kleineres Publikum an.
Richtig Schwung in den Abend brachte vor allem Andy Strauß, der unkonventionell im Bademantel auftrat. Strauß‘ Stimme, die nach kurzem Vortrag seines Textes zwischenzeitlich in ein Schreien überging, hallte durch das ansonsten leere 80.000-Leute Stadion und bildete nach Redelings einen angenehme Verschärfung.
Dreiviertel-LMBN gaben ihr Bestes
Neben den Einzeltexten gab es zudem die LMBN-Rubrik „Buchpräsentation“, die durch eine musikalische Beatbox-Einlage der drei Protagonisten angemessen eingeleitet wurde. Während Masomi sein kürzlich erschienenes, erstes Buch präsentierte (seine Magisterarbeit „Poetry Slam – Eine orale Kultur zwischen Tradition und Moderne“, erschienen im Lektora Verlag), nutzte Strauß diese Rubrik zur Veranschaulichung einiger Postkarten mit Tiermotiven. Im anschließenden LMBN-Quiz kämpften in mehreren Fragerunden zwei kurz vorher ausgewählte Zuschauer um Gästelistenplätze für die weiteren, diesjährigen LMBN-Auftritte im Domicil.
Trotz der Kompensierung durch die Gäste, krankte die Show vor allen Dingen an der fehlenden Stammbesetzung. Der Ersatz von Sebastian 23 gelang nur in Teilen. Dem Dreiviertel-LMBN fiel es schwer, den entzündenden Funken zum Publikum überspringen zu lassen, wobei die Stadion-Atmosphäre in dieser Hinsicht auch gänzlich undankbar war. Doch auch bei – oder gerade wegen - einer Show unter diesen nicht idealen Umständen, sollte das dritte Jahr im Stadion unbedingt folgen. Hoffentlich muss der BVB dafür nicht noch einmal Meister werden.
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