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Trautes Heim? Kranz mit Frau und Bruder und Kartoffelbrei
Foto: Frank Gebauer

Ein Kranz für die Revolution

29. März 2012

Das Ensemble „Glassbooth“ zeigt mit „Satansbraten“ einen ziemlich unbekannten Fassbinder - Theater Ruhr 04/12

Ein Wahnsinniger stürmt den Verlag. Er will mehr Vorschuss. Geschrieben hat Autor Walter Kranz noch keine Zeile, aber schon über 30.000 Mark bekommen. Sekretärin und Verleger weisen ihn ab. Vehement verprügelt Kranz das Büro, brüllt „Geld, Geld, Geld“. Dann schiebt er eine rollende Tür ein paar Meter weiter – und ist zu Hause bei Frau und Bruder, der Fliegen sammelt, um sie zu ficken, der Frauen an die Brüste grabscht, warum nur? Derart skurril beginnt „Satansbraten“ im Dortmunder Depot-Theater. Eine köstliche Gaudi nach Rainer Werner Fassbinders gleichnamigem Film von 1976, die die Theatermenschen der Gruppe glassbooth dort in den ehemaligen Straßenbahnhallen schreiend schrill auf die Bühne werfen.

Ganz bewusst grenzt sich Regisseurin Eva Zitta dabei von der Filmvorlage ab, nutzt nur die Original-Fassbinderskripte, absichtlich ohne den Film gesehen zu haben. Daraus entstanden neue Bildideen, die in ihrer Kargheit auch der Bühne entsprechen, die natürlich bei Freien Theatern so aussehen muss, wie sie aussieht, die aber mit kreativen Utensilien wie dem begehbaren Kühlschrank oder eben der genialen rollenden Tür spielt, dazu lecker und ziemlich gaumenkitzelnd auch die schnöde Kartoffelpampe, die anstelle jeder Tages- und Nacht-Mahlzeit gereicht wird. In dieser übersichtlichen und eigentlich doch nicht so kleinen Welt kämpft ein schnittiger Jens Dornheim als Walter Kranz um seine Existenz. Einst als Dichter der Revolution (welcher bloß?) gefeiert, ist er fast widerwillig nur noch in Sachen Geld unterwegs. Schließlich war er mal wer, doch das ist nicht mehr, schon gar nicht wird er das wieder werden, was er mal war. Und so durchstreift er auf der Suche nach etlichen Banknoten die bereits in Trümmern liegende Vergangenheit, die zwar pseudosexuell aufgeladen, aber hinter den Fassaden scheiße bürgerlich war. Wie die nymphomanisch-masochistische Irmgart von Witzleben (Meike Angermann, die auch die arme Nutte Lana von Meyerbeer spielt), bei der Kranz einen Scheck erbettelt und sie dafür als Höhepunkt umbringt. Jetzt hat er auch noch die Kriminalpolizei (Frank Tengler) am Hals.

Doch als richtiger Satansbraten beugt man der finalen Situation vor, drückt dem debilen Bruder die Pistole in die Hand und lässt sie von ihm verstecken. Ach ja, der Bruder. Absolut klasse, wie Marlon Bösherz diese Rolle als lallender Fliegenfetischist durchhält und dabei Volker Spengler aus dem Original fast vergessen lässt. Auch Sandra Wickenburg glänzt als schlurfende Luise Kranz, die der Ärger am Ende als einzige ins Grab bringt. Denn als Kranz endlich wieder etwas Geschriebenes zustande bringt, ist es blöderweise ein Plagiat. Irgendwie bemerkt das auch seine Geliebte Lisa (Tanja Brügger), die 68er-konform routiniert promiskuitiv mit Ehemann zusammenlebt. Das Gedicht („Der Albatros“) stammt von Stefan George, der Kunst für die Kunst schuf und selbst ein kleiner Psychopath war. Aber er hatte wenigstens Stil, und von da an versucht auch Kranz, seine Egomanie in eine Heilsbotschaft zu verwandeln. Immer boshafter, immer kleinbürgerlicher quält er die devote Andrée (Kristina Rickal), die trotzdem treu ergeben zu ihm hält, was seinen Größenwahn steigert. Zur allgemeinen Belustigung will Kranz auch noch schwul werden wie George, doch irgendwie versagt er beim Stricher (Thorsten Eisentraut), den er doch lieber als bezahlte Muse nutzt. Kranz wird größenwahnsinnig, als ehemalige linke Frontfigur gleich zum Faschisten. Am Ende ist seine quengelnde Frau tot, der Kommissar findet die Waffe, doch eigentlich kommt dann alles anders, als der Zuschauer denkt.

Eva Zitta hat geschickt gekürzt und dadurch ein sehenswertes Volkstheaterstück inszeniert, das unterhält, statt überholte Diskurse aufzuwärmen, das dramaturgisch auf der Bühne funktioniert, wenn auch die Choreografie der Personen architekturbedingt manchmal etwas statisch wirkt. Dennoch: Es ist ein unbändiges Vergnügen zu erleben, wie zeitlos diese Fassbinder-Dialoge sind, denn sie bleiben auch ein derber Tritt in die Fresse derjenigen, die in ihren Häusern in der Toskana immer noch glauben, mit Dosenpfand die Welt retten zu können.

„Glassbooth mit Satansbraten“ on tour
Mi 18.4., 20 Uhr: Depot, Dortmund
Do 19.4., 20 Uhr: Neue Galerie, Gladbeck
So 22.4., 18 Uhr: Theater an der Nieburgh, Oberhausen

PETER ORTMANN

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