Das Bühnenbild von Sabine Bachem hat einen Anflug von gefalteter 1920er Filmästhetik, das Mobiliar unterstreicht das comichafte Interieur an dem wohl nur die Waffen echt sind – und die Schauspieler. Es geht im kleinen Dortmunder Depottheater um den „Weibsteufel“ von Karl Schönherr, eine Jubiläumsinszenierung von theater glassbooth, inszeniert von Jens Dornheim, Impresario der freien Schauspielgruppe, die immerhin 15 Jahre im kommunalen Feindesland durchgehalten hat. So lange will das im Alpen-Drama die Gattin des Schmugglers wohl nicht mehr. Ihre Träume liegen längst verschlossen in einer geheimnisvollen Holzkiste während ihr Mann, der Grenzschmuggler, für ein schickes Haus schaffen geht.
Dornheim hat die gefährliche Dreiecksgeschichte ins Ruhrgebiet nach dem Ersten Weltkrieg verlegt, in der Region hatten die Freikorps das Sagen. Sein fein inszeniertes Kammerspiel lebt von den drei großartigen Schauspielern, die das Geschehen langsam und bedächtig aufbauen, um es dann wie ein anfahrender ICE zu beschleunigen. Denn Leutnant (Carl Bruchhäuser) und Gattin (Alexandra Lowygina) haben sich verliebt, anstatt auf Tricks des findigen Schmugglers (Ulrich Penquitt) und möglichen Karriereschub (drei goldene Sterne) hereinzufallen. Und plötzlich hat die schöne Frau das Heft in den Händen und die weiblichen Waffen für eine erhoffte Zukunft. Alexandra Lowygina macht das grandios, wenn sie geschickt taktiert, um irgendwann die Liebhaber wie Fliegen in einem Spinnennetz vergehen zu sehen, denn im Grunde meinen es beide Beutefänger nicht ehrlich. Die einzige Frage, die sich stellt und irgendwie kleben bleibt: Ist der Weibsteufel nicht selbst verschuldete Kreation der Männerwelt?
„Der Weibsteufel“ | R:Jens Dornheim | Sa 12.1. 20 Uhr | Rü Bühne (im Girardet Haus) Essen | 0201 384 67 66
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