Wie schwierig es nach wir vor erscheint: Wer „nein“ sagt gegen den aktuellen Krieg mitsamt der irrsinnigen Eskalationsspirale aus Waffenlieferungen und Wirtschaftsembargos, den Putins Überfall auf die Ukraine auslöste, muss sich viele stumpfsinnige Vorwürfe anhören – von Wohlfühlpazifismus bis Kremlhörigkeit. Denn Burgfriedensfloskeln und Hurrapatriotismus sind wieder so chic, dass sie sogar unter woken Grünen und Linksliberalen gepriesen werden.
Dieses bellizistische Mindset sorgt dafür, dass der olle Brecht wie ein aktueller Antimilitarist erscheint, der aneckt, provoziert und aufklärt. Der Stückeschreiber lancierte seine Ablehnung des Kriegs nicht nur in Klassikern wie „Mutter Courage“. Im Fragment gebliebenen „Fatzer“ lässt Brecht einen titelgebenden Egoisten und Anarchisten von der Leine. Dieser will zwar nur sein eigenes Leben vor dem industriellen Gemetzel retten. Doch an der Front des Ersten Weltkriegs zettelt er gleich eine Desertion an, der sich weitere Kameraden anschließen.
Ihr Fluchtort ist die Stadt Mülheim an der Ruhr, wo im Oktober „Ein Mensch wie ihr“ nach Motiven aus Brechts „Fatzer“ Premiere feiert. Denn die drei künstlerischen Teams um die Choreografin Rafaële Giovanola, die Autorin und Regisseurin Christine Umpfenbach und dem Regisseur und bildenden Künstler Philipp Preuss adaptieren Brechts Stückskizze als Cross-over aus Theaterparcours, Tanz, Schauspiel und Fest. Hinter diesem Mammutprojekt steht die Theaterallianz vier.ruhr aus dem Theater an der Ruhr, den Mülheimer Theatertagen und dem Ringlokschuppen Ruhr.
Bei der Aufführung in der Stadthalle erfährt das Ensemble Unterstützung von einem diversen Chor aus Bürger:innen der Region und Mitgliedern der Petrikirche. Schließlich ist es eben der Chor, dem im Fatzer-Fragment eine wichtige Rolle zukommt: als Kollektiv, dem das Individuum gegenübersteht. Doch so einfach ist es freilich nicht mit einer Vorlage, die von einem Dialektiker wie Brecht stammt: Und so dreht sich die Aufführung sicher auch um die Schnittstellen zwischen dem Einzelnen und dem Gemeinschaftlichen, aber auch um jenes System, das Gewalt und Kriege in sich trägt wie Wolken ein Gewitter: den Kapitalismus, ein Signalwort für Deserteure.
Ein Mensch wie ihr | 14., 15.10., 3., 4.11. | Stadthalle Mülheim an der Ruhr
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