So, jetzt kommt der erste Major-Tonträger aus den deutsch-österreichischen Swag-Rap Kreisen, und es ist tatsächlich eine Frau, die den Typen zeigt, was eine Harke ist. „Die kleine macht jetzt Kasse“, rappt die Hamburgerin Haiyti auf „Montenegro Zero“ mit ihrer krächzenden Stimme. Fette Beats, Angeber-Reime, ein paar Four-to-the-Floor-Tracks haben sich auch hierhin verirrt. Merkwürdigerweise aber keine Gastraps. Schafft Haiyti aber alles alleine. Einige Killer, kaum Filler (Vertigo). DJ Taye tritt derweil das Erbe des viel zu früh gestorbenen Footwork/Chicago Juke-Produzenten DJ Rashad an. Mit seinem Album „Still Trippin‘“ könnte er fast das rohe, immer nach Skizze klingende Genre aus seinem regionalen Nischendasein holen, aber die herrlich unverformte Heterogenität zwischen Hip-Hop, Breakcore, Trap etc. macht das dann doch wieder schwierig (Hyperdub).
Im 25. Bandjahr blickt man zurück: Musikalisch läuft‘s wie in den letzten Jahren: ein paar schöne Balladen, ein paar mitreißende Rocksongs, Dirk von Lotzows bassiger Manierismus – das ergibt immer noch ein solides Tocotronic-Album, und mit „Hey Du“ gibt es außerdem ein Spiritualized-Cover. Textlich horcht man allerdings auf, wenn an die eigenen Jugend erinnert wird. Midlife-Rock? Wenn‘s klingt wie das neue Album „Die Unendlichkeit“ gerne immer so weiter (Universal). Andreas Spechtl, Teil des Trios Ja, Panik, veröffentlicht mit „Thinking about tomorrow and how to build it“ sein zweites Soloalbum. Dafür ist er per Stipendium nach Teheran gereist, hat Geräusche, Klänge und Worte aufgenommen und in Stücke montiert, die zwischen Krautrock, Ambient und Electronica einen Raum öffnen, den man in Anlehnung an Jon Hassell Fourth World oder Possible Music nennen könnte, und der wunderschön klingt. Auch der Kölner Elektronikproduzent Schlammpeitziger öffnet mit seiner Musik einen imaginären Raum. „Damenbartblick auf Pregnant Hill“ – die Albumtitel sind nicht fantasieloser geworden – schaukelt fröhlich zwischen Krautrock und neuerer Electronica wie ein gut gelauntes Kinderspielzeug durch den Raum (beide bureau b). Als Nils Frahm 2015 die Filmmusik für Sebastian Schippers Drama „Victoria“ einspielt und kurz darauf den Deutschen Filmpreis für den besten Soundtrack erhält, hat er schon zahlreiche erfolgreiche Alben mit Klaviermusik und der Kombination aus Klavier und Elektronik veröffentlicht, außerdem etliche Kollabortionen bestritten. Neben vielen anderen Veröffentlichungen ist „All Melody“ nun sein siebtes Soloalbum. Es entfaltet einen zarten, aber unglaublich reichen Klangkosmos mit Beats, Tasteninstrumenten, Blasinstrumenten, Chören und vielem mehr. Ein Winteralbum für dunkle Stunden (Erased Tapes).
Nach dem Postpunk („Rip it up and start again“) und Retrophänomenen im Allgemeinen („Retromania“) widmet sich der britische Popkritiker Simon Reynolds nun dem „Glam“. Zum einen Blick er in seiner profunden, über 600-seitigen Abhandlung auf die Timeline des Glam-Rock – von Marc Bolan, David Bowie und Roxy Music zu Slade, Sweet und Gary Glitter, aber auch zu den New York Dolls und Punk. Zum anderen analysiert er die hinter dem Performativen liegende Strategie, die neue Figuren und Fantasien etabliert und stark im Gegensatz zu dem vermeintlich authentischen, ‚ehrlichen‘ Rockgestus steht. Auch wenn man nicht immer einer Meinung mit dem Autor sein muss, wenn es um qualitative Wertungen geht, ist es ein Genuss zu lesen, wie er den Bogen von Bowie zu Lady Gaga schlägt und die Faszination für das Phänomen des Popstars beleuchtet (Ventil).
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