Filmklassiker wie „Casablanca“ oder der Nouvelle-Vague-Hit „Hiroshima, mon amour“ haben es bereits auf die Leinwand gebannt: Tragische Liebesbeziehungen, die vor dem Hintergrund epochaler historischer Ereignisse zum Scheitern verurteilt sind. Ein Topos, den auch der Dokumentarfilm „Erzähl es niemandem!“ verhandelt.
Umso passender erscheint die Kulisse: April, 1942 im norwegischen Narvik, das zu dieser Zeit von Nazi-Deutschland besetzt ist. Dort lernt die 19-Jährige Lillian Berthungden Wehrmachtssoldaten Helmut Crott kennen. Beide verlieben sich. In dem besetzten Land ist das ein Eklat: „Es war ein Tabu, dass sich ein norwegisches Mädchen mit einem deutschen Soldaten trifft“, erinnert sich die 87-jährige Lillian Crott im Film. Nur sie weiß zudem von Helmuts Geheimnis: Seine Mutter ist Jüdin und später auch von den Deportationen betroffen. „Ich selbst bin noch unentdeckt geblieben und halte mich in der Wehrmachtsuniform versteckt“, gesteht er ihr. Nach dem Abzug der Deutschen trennen sich zunächst die Wege der Liebenden. Doch nach dem Krieg macht sich Lillian auf die Suche nach Helmut.
„Nicht nur private, sondern auch politische Geschichte“
„Erzähl es niemandem“ ist eine Spurensuche nach dieser tragischen Beziehung in den Wirren des Zweiten Weltkriegs und der Shoa. Eine romantische Liebesgeschichte, rekonstruiert aus Briefen, aus Archivzeugnissen oder Erinnerungen. Kein Kitsch, sondern lebendige Geschichte auf der Leinwand. Im Rahmen des Dokumentarfilm-Festivals „Stranger than Fiction“ wurde der Beitrag im Dortmunder Programmkino SweetSixteen aufgeführt. Mit dabei: Regisseur Klaus Martens und Randi Crott, Tochter von Lillian und Helmut Crott, sowie Autorin des gleichnamigen Sachbuch-Bestsellers, der gleichzeitig zum Film entstand. Wie es dazu kam, erklärten beide unter anderem im anschließendem Publikumsgespräch.
So sträubte sich Randi Crott zunächst, das Buch zu schreiben. Erst später kam sie zu dem Entschluss: „Das ist nicht nur eine private, sondern auch eine politische Geschichte.“ Im Frühjahr 2012 erschien dann schließlich ihr Buch „Erzähl es niemandem! Die Liebesgeschichte meiner Eltern“, das schnell zum Bestseller wurde. 2016 entstand schließlich in Zusammenarbeit mit Klaus Martens der gleichnamige Film.
„Film hat die Verhältnisse zurechtgerückt“
Doch am Anfang war das Schweigen. Denn über das, was ihr Vater erlebt und erlitten hatte, sprach er auch nach dem Krieg nie, wie seine Tochter erzählt: „Er wollte als normaler Mensch in der bundesrepublikanischen Gesellschaft wahrgenommen werden. Daher sein Entschluss, über das Erlittene zu schweigen.“ Als sie das Buch schrieb, konnte die Journalistin ihren Vater auch besser verstehen: „Mir ist erst in den letzten fünf Jahren klar geworden, mit welchem Schweigen meine Generation aufgewachsen ist. Sowohl bei den Tätern als auch bei den Opfern.“ Dass zudem auch Lillian Crott solange nicht darüber reden konnte, macht den Film umso wichtiger, wie Regisseur Klaus Martens erklärt: „Sie ist als Deutschen-Flittchen angesehen worden. Auch weil sie ja immer geschwiegen hat. Und der Film hat da jetzt auch die Verhältnisse zurechtgerückt.“ Entsprechend zufrieden sei sie auch mit dem Ergebnis auf der Leinwand gewesen. Dokumentarfilm als Aufklärungs- und Bewältigungsarbeit, der dem Politischen in einer persönlichen Geschichte nachspürt.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Ernas Geschichte
Zweitzeugen e. V. leistet Erinnerungsarbeit – Spezial 08/21
Kreuzberg und die K-Frage
Regisseur Robert Bohrer spricht in Dortmund über „Liebesfilm“ – Foyer 05/19
„Freud hätte diese Begegnung genossen“
Nikolaus Leytner über „Der Trafikant“ – Gespräch zum Film 11/18
Diskursive Leinwand
Kino als Raum und Kunstform am European Art Cinema Day – Kino 10/18
Unerhörte Parteifinanzierung
Éric Vuillard las am 8.9. im Essener Grillo-Theater aus „Die Tagesordnung“ – Literatur 09/18
Einfühlung gegen die Entfremdung
„Grenzgänger“ am 11. und 18. Dezember im SweetSixteen in Dortmund – Foyer 12/17
Mut gegen Ohnmacht
Nachwuchs-Filmemacherin Asli Özarslan zeigt „Dil Leyla“ im sweetSixteen – Foyer 06/17
Von Venedig nach Shanghai
Duisburger Ausstellung zeigt die Geschichte der jüdischen Ghettos in Venedig und Shanghai
„Dinge verstehen statt Rollenbildern folgen“
„Die Hände meiner Mutter“ am 2.12. im sweetSixteen – Foyer 12/16
Sex und Arbeit
Filmvorführung von „SEXarbeiterin“ im sweetSixteen mit Debatte über Prostitution – Foyer 03/16
Von der Vergangenheit eingeholt
Ex-Neonazi stellte sich Fragen am 17.2. in Dortmund den Fragen des Publikums
Schund und Vergnügen
„Guilty Christmas Pleasures: Weihnachtsfilme“ im Filmstudio Glückauf Essen – Foyer 12/24
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Lichtspiele mit Charme
Eröffnung der Ausstellung „Glückauf – Film ab!“ im Ruhr-Museum – Foyer 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Bären für NRW-Filme?
21. NRW-Empfang im Rahmen der 74. Berlinale – Foyer 02/24
Sieben Spitzenprämien-Gewinner
Kinoprogrammpreis-Verleihung in der Wolkenburg – Foyer 11/23
Verfilmung eines Bestsellerromans
„Die Mittagsfrau“ im Casablanca Bochum – Foyer 10/23
Mysteriöses auf schottischem Landsitz
„Der Pfau“ im Cinedom – Foyer 03/23
Alle Farben der Welt
37. Teddy-Award-Verleihung bei der 73. Berlinale – Foyer 02/23
Drei NRW-Filme im Berlinale-Wettbewerb
20. NRW-Empfang im Rahmen der 73. Berlinale – Foyer 02/23