Immer wieder hat Sönke C. Weiss dieses Foto gezeigt. In den Dörfern entlang der langen Landstraßen, die er abgeklappert hat. Von Kongo bis nach Uganda. Oft stehen die Menschen dort vor Baracken. Hilfsbereit schauen sie auf dieses Foto, auf dem ein Junge abgebildet ist. Gekleidet in Militäruniform, die Mütze viel zu groß, das Gewehr überragt ihn fast. Die BewohnerInnen überlegen kurz. Dann drehen sie den Kopf oder zucken mit den Schultern. Den Jungen hat lange keiner mehr gesehen.
Eric heißt er. Das Foto hat Regisseur Weiss damals selbst gemacht, als er hier 2004 als Korrespondent für die Tagesthemen unterwegs war. Das Porträt des Kindersoldaten Eric ging um die Welt. Zeitungen und Magazine druckten es auf ihren Titelseiten ab. NGOs illustrierten damit Kampagnen gegen die Rekrutierung von Kindern für den Krieg. Auch den einstigen Reporter Weiss, der über 20 Jahre in Afrika unterwegs war, beschäftigte diese Begegnung: In Büchern und in Theaterstücken setzte er sich mit Eric auseinander. Zuletzt mit dem Film „Grenzgänger“, der an diesem Abend in seiner Anwesenheit im Kino SweetSixteen gezeigt wurde.
14 Jahre ist das her. Lebt Eric noch? Hat er es vielleicht geschafft, den Kriegswirren zu entfliehen? Diese Fragen stellt sich Weiss während seiner sechswöchigen Reise, in der sich der Filmemacher auf die Suche nach Eric begibt. „Eric war ein bisschen wie ein Geist für mich“, so Weiss über seine leise Hoffnung, dass der Junge, dem er vor Jahren kurz begegnete, noch leben könnte. „Und irgendwie wird er immer ein Phantom für mich bleiben.“
Wie seine vorherigen Streifen ist auch „Grenzgänger“ im Stil eines sogenannten „imaginativen“ Dokumentarfilms gedreht: Weiss setzt auf essayistische Reflexionen über die Schrecken des Bürgerkriegs im Kongo. Visuell drückt sich dieses Suchen in den Kameraschwenks entlang der Straßen und Landstriche aus. „Es war durchaus gewollt, dass es so amateurhaft und holprig wirkt“, erklärt der Regisseur seine Abgrenzung zum journalistischen Dokumentarstil.
Nachdenken über die kleinen Schicksale, die entfremdeten Existenzen in den großen Wirren aus Globalisierung, Neokolonialismus und Krieg um Ressourcen, das regt Weiss mit diesem unkonventionellen Format an. Einfühlung gegen die Entfremdung.
Doch vor allem der Kongo wurde zuletzt politisch auf der Leinwand thematisiert. Theatermacher Milo Rau inszenierte mit „Das Kongo Tribunal“ eine transmediale Anklage gegen die Verantwortlichen von Krieg, Genozid und Ausbeutung in der zentralafrikanischen Region. „Ich bin auch froh, dass solche Formate im Mainstream ankommen“, erklärt Weiss im Gespräch mit trailer. „Aber meistens ist das dann nur kurz. Wenn sich daran etwas ändern würde, dann auch am Bewusstsein der Menschen.“ Eine weitere Erkenntnis an diesem Abend: Es braucht mehr solcher Filme.
Die nächste Vorstellung von „Grenzgänger“ ist bereits nächsten Montag, 18. Dezember um 19 Uhr. Erneut in Anwesenheit von Filmemacher Sönke C. Weiss.
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