Der Vater fordert die Familie am Essenstisch zum beschwichtigenden Ritual auf. Nachdem schon Gerüchte herumgingen, fassen sie sich an die Hand und sprechen es aus: „Alles gelogen“. Was zwischen der Mutter, ihrem Sohn Markus und ihrer Tochter vorgefallen ist, wird verdrängt. Über Jahre. Erst als Markus (Andreas Döhler) mit seiner Frau und Kind auf der Familienfeier seiner Eltern ist, wird seine traumatische Erinnerung durch einen Zufall wachgerufen. Was genau vorgefallen ist, kann er seiner Frau Monika (Jessica Schwarz) kaum mitteilen: „Meine Mutter hat...sie hat...“ Erst allmählich eröffnet sich im Film „Die Hände meiner Mutter“ eine traumatische Missbrauchschronik.
Gewalt in Familien ist das Thema von Regisseur Florian Eichinger. Wie in „Bergfest“ (2008) und „Nordstrand“ (2013) geht es auch in seinem neuen Film „Die Hände meiner Mutter“ um das Thema Missbrauch. Er sprach darüber nach der Vorstellung im Dortmunder Kino sweetSixteen.
Überraschende Vorlage
Trotzdem fand auch der Filmemacher Neues, als er nach seinem letzten Film auf einen Internetbericht stieß, der ihn zu „Die Hände meiner Mutter“ inspirierte: „Ich war erstmal überrascht, dass es so etwas überhaupt gibt, obwohl ich mich vorher viel mit Gewalt beschäftigt habe.“ Gewalt geht statistisch gesehen nur selten von Frauen gegen Männer aus. Auch wenn es um Missbrauch in Familien geht, ist meistens der Vater, nicht aber die Mutter im Verdacht. Diese verbinde man meist eher wohlwollend mit Wärme oder Geborgenheit: „Man traut ihnen nicht zu, dass so etwa passiert“, meint Eichinger. Aber genau darauf komme es ihm auch bei seiner Arbeit an, Verstehen statt bloß Klisches darzustellen: „Sachen, die komplett vereinfacht sind, hinterfrage ich“, erzählt der 45-Jährige. „Ich will diese Dinge verstehen statt einfach den Rollenbildern zu folgen.“ Im Gegensatz zu seinen früheren Filmen ging keine autobiographische Erfahrung, sondern eine aufwendige Recherchearbeit voraus. „Ich hatte mit Leuten gesprochen, denen das widerfahren ist.“ Auch bei Psychologen hatte Eichinger nachgefragt.
Keine Schwarz-Weiß-Malerei
Ein Anliegen, dass er sowieso auf der Leinwand verwirklicht sehen will – vor allem, wenn es um solche Tabu-Themen geht: „Ich finde, dass es im Fernsehen immer mit einer ziemlichen Schwarz-Weiß-Malerei dargestellt wird“, erklärt der Regisseur. „Es sollte nicht so dargestellt werden wie in der Bild-Zeitung.“ Denn viele Inszenierungen stimmen einfach nicht mit der Realität solcher Missbrauchsfälle überein. Eichinger ist selbst in einer großen Patch-Work-Familie aufgewachsen und hatte über Jahre einen Konflikt mit seinem Stiefvater.
Neben der Intensität, mit der die SchauspielerInnen – allen voran der überzeugende Andreas Döhler – aufzeigen, wie sehr die Betroffenen innerliche zerrissen sind, bleiben auch die beklemmenden Szenen der Familientreffen in Erinnerung. Dass diese zuweilen an Thomas Vinterbergs Kult-Streifen „Das Fest“ erinnern, streitet Eichinger gar nicht erst ab. Allerdings habe er in seinem Werk den Spannungsbogen eher auf andere Aspekte gelegt. Etwa auf die Frage von Gerechtigkeit oder die widersprüchlichen Figuren. Hauptsache, keine Rollenbilder und Klischees darstellen.
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