Leanders letzte Reise
Deutschland 2016, Laufzeit: 107 Min., FSK 6
Regie: Nick Baker-Monteys
Darsteller: Jürgen Prochnow, Petra Schmidt-Schaller, Suzanne von Borsody
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Komplexes Generationen- und Antikriegsdrama
Verpasste Liebe, verpatztes Leben
„Leanders letzte Reise“ von Nick Baker-Monteys
Interview mit Jürgen Prochnow
„Ich werde dich niemals lieben. Wenn du damit leben kannst, können wir heiraten.“ So pragmatisch machte Eduard Leander seiner Frau als junger Mann den Heiratsantrag. Nun ist sie vor dem Fernseher entschlafen und Leander 92. Den Leichenschmaus lässt er ausfallen und steigt in einen Zug nach Kiew. Der ehemalige Wehrmachtsoffizier will in der Ukraine die Liebe seines Lebens suchen, Svetlana, die er 1945 dort zurücklassen musste. Seine entfremdete Tochter Uli (Suzanne von Borsody) schickt ihre chronisch zornige Tochter Adele (Petra Schmidt-Schaller) hinterher, den Alten zurückholen. Leander aber bleibt stur im Abteil hocken, und so muss Adele eben mit.
Lange Jahre hörte man wenig von Jürgen Prochnow, einem von wenigen deutschen Stars mit internationalem Profil („Das Boot“, „Der englische Patient“), doch in letzter Zeit meldet sich der 76-Jährige zurück. Nachdem er sich neulich in „Kundschafter des Friedens“ von ziemlich lustiger Seite zeigte, ist nun „Leanders letzte Reise“ sichtlich Prochnows Kür als gereifter Charakterdarsteller. Vom späten Abenteuer des alt gewordenen Mannes erzählt das Kino gern, oft mit großen Schauspielern auf der Höhe ihrer Erfahrung. Jack Nicholson tat es in „About Schmidt“, Dieter Hallervorden feierte in „Sein letztes Rennen“ ein grandioses Comeback. Was Prochnow den Kollegen nun voraus hat, ist das wuchtige Antikriegsdrama, das Regisseur Nick Baker-Monteys („Der Mann, der über Autos sprang“) um ihn herumwebt.
Dass der mürrische Opa und die bocklose Enkelin mit der Zeit zueinander finden, gehört zum beziehungspsychologischen Paket des Films. Dass Adele sich in Zugbekanntschaft Lew (Tambet Tuisk aus „Poll“) verliebt, einen in der Ukraine aufgewachsenen Russen, der die beiden fortan begleitet, wirkt dagegen zeitweise aufgesetzt und beschert dem Drama inhaltliche Längen. Lew ist aber auch das Vehikel, das wirksam eine Brücke schlägt zwischen damals und heute. Die prekäre politische Lage der Ukraine ist überall gegenwärtig – in spektakulären Landschafts-und Luftaufnahmen gleiten marode Städte, Panzer und Soldaten durchs Bild – und verankert Leanders Roadtrip in seine schmerzliche Vergangenheit in einer nicht minder traurigen Gegenwart.
Über beide Epochen liefert Baker-Monteys dem Zuschauer nicht genug Information, oft bleibt man mit zu vielen offenenFragen zurück. Jürgen Prochnow aber gibt eine der bewegendsten Vorstellungen seiner Karriere. Man nimmt Leander die Schuld ab und auch die Sühne, den Kummer darüber, dass sein Versagen noch das Leben seiner Kinder und Kindeskinder bestimmt. Man versteht, dass der Mann in diesen Zug steigen muss, weil sein Leben vor langer Zeit aus dem Gleis sprang. Zwei Kriege, drei Generationen, zwei Liebesgeschichten, die über mehr als 70 Jahre hinweg ineinander greifen – was an Erzählung und an Menschlichkeit dazwischenliegt, macht die guten Momente von Leanders letzter Reise aus.
(Renée Wieder)
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