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Filmstill aus „Hochofen II“
Foto: © Su Yu Hsin und Alexander Levy

Hattingen, Tian’anmen, Weltall

18. Dezember 2023

Weitblick-Preis für „Hochofen II“ beim Filmfestival blicke – Festival 12/23

Drei Orte führt Su Yu Hsin zusammen: die 1987 stillgelegte Henrichshütte in Hattingen, den Tian’anmen-Platz, den Platz des Himmlischen Friedens, wo im Sommer 1989 die chinesische Regierung Protestierende niedermetzeln ließ und das Weltall. Diese Konstellation ergab sich, als Yu Hsin vor Ort für ihr nächstes Projekt recherchierte. Dabei stieß die 1989 geborene Filmemacherin auf den Fall einer chinesischen Dolmetscherin namens Lin, die sich nach der Demontage des Hochofens Nr. 2 im Jahr 1990 entschied, in Deutschland zu bleiben.

Weltraumenergie

Im Ruhrgebiet begann Lin, an einem Science-Fiction-Roman zu schreiben, den sie zwar nie vollendete, der jedoch die assoziative Klammer von Yu Hsins Filmessay bildet. Denn das Romanfragment thematisiert nicht nur die Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens nach 1989, wie Yu Hsin erläutert: „Im Gegensatz zu Lin reist ihre Figur durch die Erdatmosphäre in den Weltraum, um nach alternativen Energiequellen als Ersatz für Kohle zu suchen.“

Von dieser kühnen postfossilen Vision erzählt auch „Hochofen II“, obwohl der Film zunächst das Ende der Henrichshütte zeigt. Markierungen verdeutlichen den Arbeiter:innen, wo welche Teile hingehören: gelb steht für den Verbleib in Deutschland, rot für den Transport nach China. Diese Szenen erinnern an den Dokumentarfilm „Losers und Winner“, in dem Ulrike Franke und Michael Loeken die Demontage einer Dortmunder Kokerei für den Verkauf nach China begleiteten.

Menschen verschwinden

Yu Hsin eröffnete keinen nostalgischen Blick auf die Industrie, sondern handelt vielmehr vom „radikalen Wandel“, den der Umweltschützer James Lovelock zur Definition des Anthropozäns herangezogen habe: „Aus meiner Lektüre der letzten Jahre über die industrielle Revolution geht hervor, dass wir Menschen die Kraft des Sonnenlichts durch den Kohleabbau nutzen.“ Kohle sei daher eine Form des versteinerten Sonnenlichts, argumentiert die in Berlin und Taiwan lebende Künstlerin: „Die Industrie wandelte das in der Kohle eingeschlossene Sonnenlicht direkt in Arbeit um.“ Damit folgt sie dem Weg der Hochofen-Kohle zurück: aus dem Stahlwerk heraus als Meteorit ins Weltall, wie auch die Jury in ihrer Begründung hervorhob: gleich dem Verschwinden der Menschen, die hier ihre Arbeitskraft verkauften.

Benjamin Trilling

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