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Europa

POLITIK-LABOR – Ein Thema, drei Schwerpunkte: Aufmacher, Interviews, Europa-Artikel, Glosse und Lokaltexte aus Köln, Wuppertal und dem Ruhrgebiet

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Composing: Robert Michalak
 

Europa / Der demokratische Superstaat
Intro (Link zur Langfassung)

Die Europäische Union ist immer für einen Witz gut. Vielen gilt sie als aufgeblasener, überteuerter Apparat, der bestenfalls mit bürokratischen Kuriositäten von sich reden macht. Das „europäische Projekt“, das mit Botschaften von Frieden, Wohlstand und Vielfalt wirbt, rückt ob des Spotts in den Hintergrund. Dafür spricht der sog. Rechtsruck, der mit der letzten EU-Wahl noch einmal deutlich geworden ist. Aber gerade angesichts der multiplen Krisen scheint eine gewisse europäische Einheit im Interesse der hiesigen Länder zu liegen. Über Gründe der EU-Müdigkeit wird gemutmaßt: Manchen Staaten erscheinen in Aussicht gestellte Wohltaten als leere Versprechen; mangelt es an Hilfsbereitschaft; scheint es unzumutbar, Macht abzugeben usw. Trotzdem deutet vieles darauf hin, dass Jugendliche ihre Zukunft mit einem solidarischen, freiheitlichen und prosperierenden Europa verbinden. Welche Sorgen und Hoffnungen prägen das europäische Projekt?

Europa / Der demokratische Superstaat
Teil 1: Kultur

Gibt es europäische Werte (Leitkultur …) – in einem Weltteil, der in Jahrtausenden durch unterschiedlichste Einflüsse geprägt wurde? Was sollte die Quintessenz sein bspw. aus orientalischen, griechisch-römischen und nordischen Einflüssen? Wie sollte sie sich in den EU-Institutionen verwirklichen? Kriterien, die Zugehörigkeit oder Ausschluss definieren, fördern nicht bloß Gemeinschaft, sondern ebenso Imperative, Hierarchie und Feindschaft. Wenn die uniforme Gesellschaft eine Horrorvorstellung ist, bleibt dann nur möglichst große Vielfalt, um ein „gemeinsames Bewusstsein“ herzustellen, weil sich nur dann direkte und indirekte Gemeinsamkeiten ergeben können? Der historische europäische Kolonialismus wird durchaus selbstkritisch aufgearbeitet – an Dokus, Essays, Lehrstühlen etc. herrscht kein Mangel. Als gleichwertigen Partner nimmt die EU den globalen Süden indes weiterhin nicht wahr – und scheint zu verdrängen, dass sie für ihn an Attraktivität längst eingebüßt hat. Ist europäische Kultur selbstkritischer als europäische Politik?

Europa / Der demokratische Superstaat
Teil 2: Politik

Kaum ein Staat oder Staatenbund tritt so moralisch auf wie die EU, die Menschenrechte und Nachhaltigkeit in ihren Selbstbeschreibungen ganz oben platziert. Fällt der Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit dann umso krasser aus, wenn das Mittelmeer zum „Massengrab“ wird oder eine „humane“ Flüchtlingspolitik an innereuropäischen Egoismen scheitert? Auch in der Brüsseler Politik erfahren rechte Positionen Zugeständnisse, und die demokratische Legitimation von EU-Kommission, -parlament und -rat ist umstritten. Die EU-Wahl stimmt lediglich über nationale Parteien ab, deren Lagerbildung erfolgt anschließend erratisch. Fraglich ist, ob die EU ihr Möglichstes gegen die Beschneidung der Gewaltenteilung in Mitgliedsländern tut oder die soziale Frage stark genug macht. Welche Spielräume hat die EU, um eigene Vorhaben durchzusetzen?

Europa / Der demokratische Superstaat
Teil 3: Wirtschaft

Global gilt die EU neben USA und China als drittgrößter Im- bzw. Exporteur sowie als führend im Handel mit Dienstleistungen. Die moralische Botschaft (Menschenrechte, Nachhaltigkeit) der EU kann irritieren auch angesichts von Energieimporten aus „Schurkenstaaten“, von Subventionen, die „fossile“ Wirtschaftszweige gegenüber „grüner“ Technik privilegieren, von Exporten, die lokale Märkte im globalen Süden ruinieren oder eines aufgeweichten Lieferkettengesetzes. Mehr als fraglich ist, ob die EU Arbeiterrechten mindestens so viel Aufmerksamkeit widmet wie Konzerninteressen, EU-Politik sich gegen übergriffige Lobbyeinflüsse verwahrt oder gegen Steuerhinterziehung von Konzernen und Superreichen oder der EU-Binnenmarkt fair geregelt ist und bspw. Produktionskapazitäten, Ex-/Import-Stärken und -bedürfnisse oder Arbeitslosigkeit entsprechend berücksichtigt.

Europa / Der demokratische Superstaat
Teil 4: Soziale Energiewende – Vorbild Österreich

Ein einfacher Mechanismus könnte mehr sozialen Ausgleich und Klimaschutz schaffen: Was wäre, wenn alle Bürger ihren Strom selbst produzierten? Beim Energy Sharing stellen Bürger eine Energiemenge dem Stromnetz zur Verfügung und beteiligen sich aktiv an der Energiewende. Seit 2018 existiert eine EU-Richtlinie für Energy Sharing, die als „Game Changer“ für Bürgerenergie gefeiert wurde. Die Mitgliedsländer sollen Konzepte entwickeln, um Bürgern eine einfache Beteiligung an der Transformation im Energiesektor zu ermöglichen, indem sie Energiegemeinschaften bilden, die Energie selbstständig produzieren, speichern und verkaufen. In Österreich gibt es bereits über 1.300 solcher Gemeinschaften, die Bürger zu ihren eigenen Energieversorgern machen. Energy Sharing kann so im Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Gemeinwohl möglicherweise zu einer Win-Win-Lösung beitragen.

Europa / Der demokratische Superstaat
Teil 5: Glosse – Ode ohne Freude

Trommelwirbel! Wir schreiben das Jahr 1992 und nach jahrzehntelanger bunt ausgerichteter Annäherung (Wirtschaft, Atom, Kohle etc.) wird der Vertrag von Maastricht unterzeichnet: die Gründung der Europäischen Union! Nein, Moment: nicht Union – Gemeinschaft: Europäische Gemeinschaft vormals Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vormals Westeuropäische Union vormals Westunion. Ziemlich komplex das alles, und das soll sich – „merkwürdige Konstellation der Organe“ (der Podcast Übertage, Folge 123) – auch 2024 nicht ändern. Ab 1992 jedenfalls koordinieren sich fünfzehn verbündete Staaten Europas in der Außen- und Sicherheitspolitik und in den Bereichen Inneres und Justiz. Und die Mitgliedsstaaten unterwerfen sich allesamt ehernen Werten: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und bürgerliche Grundfreiheiten. Werte, die bindend sind. Also, eigentlich.

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