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Ganz schön empfindlich

POLITIK-LABOR – Ein Thema, drei Schwerpunkte: Aufmacher, Interviews, Europa-Artikel, Glosse und Lokaltexte aus Köln, Wuppertal und dem Ruhrgebiet

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Composing: Robert Michalak
 

Ganz schön empfindlich / Vom Umgang mit Verletzlichkeit
Intro (Link zur Langfassung)

Die Gesellschaft als gepolsterter Kinderspielplatz? Manche Menschen meinen, es müsse Schluss sein mit Aufrufen, in denen Gruppen ihre Benachteiligung beklagen und Gleichberechtigung fordern. Ja, solche Aufrufe können anstrengen. Sie weisen auch darauf hin, dass Angehörige von Minderheiten es endlich in Positionen geschafft haben, in denen sie sich Gehör verschaffen können – und dass die Gesellschaft ihnen zuhört. Dem gegenüber steht aber auch der Eindruck, dass nicht wenige Klagen übertrieben seien, es kein Recht auf Unversehrtheit gebe und beispielsweise die Kunst ein Ort bleiben müsse, an dem die Grenzen des Zumutbaren erprobt werden. Sicher ist, das Leben findet nicht auf Polstermatten statt. Unser Monatsthema GANZ SCHÖN EMPFINDLICH fragt daher, wie es um Verständnis und Rücksicht steht.

Ganz schön empfindlich / Vom Umgang mit Verletzlichkeit
Teil 1: Gestresste Körper

Die Not von Menschen, die sich vor Nüssen vorsehen müssen, taugt Kabarettisten zum Gag. Als seien Lebensmittellallergien ein Hobby – statt Krankheiten, die tödlich enden können oder die Lebensqualität mindestens stark beeinträchtigen. Immerhin sind Nussallergie oder Glutenunverträglichkeit mittlerweile weit bekannt – auch wenn es „falsche Allergiker“ geben mag. Weit verbreitet ist Heuschnupfen. Forscher sehen ab, dass Umweltallergien im Zuge des Klimawandels z.B. durch mehr und ‚aggressivere‘ Pollen stark zunehmen. Umweltfaktoren, besonders Umweltgifte wie etwa Weichmacher stehen vielfach unter Verdacht, auch in unerkannten Zusammenhängen Krankheiten auszulösen. Nicht nur Umweltfaktoren tragen absehbar zu mehr Krankheiten bei. Mit dem demographischen Wandel geraten chronische Leiden zum Standardfall. Was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn Krankheiten mehrheitlich nicht mehr zu kurierende Ausnahmen sind, sondern dauerhafte Lebensumstände?

Ganz schön empfindlich / Vom Umgang mit Verletzlichkeit
Teil 2: Verstörende Inhalte

Trigger-Warnungen sollen maßgeblich Retraumatisierungen vorbeugen. Oder sie sollen für das (mutmaßlich) unwissende Publikum klarstellen, dass hier Verfehlungen vorliegen. Kritiker wenden ein, dass Trigger-Warnungen bevormundend seien. Sie seien sogar kontraproduktiv, indem sie die Neugierde von Betroffenen fördern. Unrecht erfahre auch das Werk, dessen weitere Merkmale (ästhetische, erzählerische, zeitgeschichtliche ...) so in den Hintergrund träten. Zudem könne grundsätzlich so gut wie jede Stimulation retraumatisieren. Warnungen sollten sich Kritikern zufolge auf besonders heikle psychologische Aspekte beschränken – die sich aber keineswegs von selbst verstehen. Wie viele Warnungen sind zudem angemessen und pragmatisch, wenn in einem Film mehrere potentiell retraumatisierende Inhalte zu sehen sind? Wie billig sind Trigger-Warnungen zu haben, während es an Therapieplätzen krass mangelt?

Ganz schön empfindlich / Vom Umgang mit Verletzlichkeit
Teil 3: Gefährdete Gruppen

Der Anstieg von Antisemitismus (und von Muslimfeindlichkeit) in Deutschland, nicht erst, aber verstärkt seit dem jüngsten Terror-Angriff der Hamas auf Israel, scheint viele zu überraschen. Manche verweisen auf Migration als maßgeblichen Risikofaktor, während andere es absurd finden, zu suggerieren, Antisemitismus sei nach Deutschland erst zu importieren gewesen; mit Verweis auf Rechtsextremismus, aber auch auf Verschwörungserzählungen, die bspw. unter Corona-Leugnern oder Linksextremen verbreitet sind und die auf antisemitische Erzählungen zurückgreifen. Pro-Palästinensische „Stellvertreter-Konflikte“ in deutschen Städten erregen zu Recht Abscheu. Sie werden aber auch dazu missbraucht, gegen Migration und Einwanderung Stimmung zu machen. Die aktuelle Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt, dass Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus auch unabhängig davon in Deutschland fortschreitet.

Ganz schön empfindlich / Vom Umgang mit Verletzlichkeit
Teil 4: Europa gestalten – Vorbild Schweden

Für den Aufbau einer Union ohne Barrieren wird seit 2010 der Access City Award verliehen, um zugängliche Städte zu küren. Einer der Preisträger ist Skellefteå. Die schwedische Stadt, die als südlicher Zugang zu Schwedisch Lappland gilt, erhielt die mit 150.000 Euro dotierte Auszeichnung für das Jahr 2023 unter anderem dafür, dass öffentliche Plätze mit einer Bodenheizung ausgestattet wurden, sodass deren Zugänglichkeit auch bei Schneefall garantiert ist. Zudem hat die Stadt ihren eigenen SMS-Dienst, der blinde und sehbehinderte Menschen über mögliche Hindernisse im Zuge von Bauarbeiten informiert.

Ganz schön empfindlich / Vom Umgang mit Verletzlichkeit
Teil 5: Glosse – Natürlich kann man vermeiden, dass irgendwer Dinge hört, gegen die er allergisch ist

Dies war unser erstes richtiges Treffen. Laut Dating-App haben wir lediglich 86 Prozent Übereinstimmung in Weltanschauungsdingen. Zum Beispiel leben wir beide zwar vegan, aber manchmal trage ich immer noch meine Lederstiefel aus der Zeit vor meiner Ernährungsumstellung. Hoffentlich wird sie das verkraften. Kaum saßen wir an unserem Tisch, kam ein in Schwarz gekleideter Kellner und brachte uns die Tablets mit unserem personalisierten Menü. Es enthielt jeweils nur Speisen ohne Inhaltsstoffe, auf die wir allergisch reagieren würden. Der Kellner bestätigte unsere Bestellung und ging fort. Im Nu erschien ein weißgekleideter Kellner an unserem Tisch und reichte uns zwei andere Tablets. Diese zeigten jeweils eine Liste mit Gesprächsthemen an, die keine Sujets enthielten, auf die wir allergisch reagieren würden. Auch das hatten wir bei der Registrierung angegeben.

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