Eintausenddreihundertsechsundachtzig gerahmte Kopien (36,3x23 cm) an Museumswänden sind vorsätzlich eingefrorene Zeit einer Künstlerin, bei weitem keine Petersburger Hängung, eher eine serielle Grenzenlosigkeit, dazu etwas manische Monotonie plus geheimnisvolle Bildfindung und fertig ist „Der Regenmacher“ (1985) der deutschen Konzept-Ikone Hanne Darboven (1941-2009). Die Serie ist Teil der gleichnamigen Ausstellung von vier großen Werkzyklen aus der Sammlung Ströher im Duisburger Museum Küppersmühle und sie wird erst zum zweiten Mal vollständig gezeigt, ein Grund mehr das „monströse“ Blattwerk einmal face to face auf sich wirken zu lassen. Es wird ein Rausch in Rasterungen, in grafischen Hänge-Attitüden, eine immerwährende Suche nach Kapiteln und Index, Zusammenhängen und Einzelaspekten und vielleicht wird am Schluss das folkloristische Schnellschnitz-Urlaubs-Mitbringsel zu Hause eine ganz neue Wertschätzung erhalten.
Welt versus Biografie
Schon gleich nach dem Corona-kompatiblen Entree in die heiligen Hallen im schicken, aber etwas ausgestorbenen Innenhafen geht es mit einer für Darboven doch recht farbigen Collage aus 53 Fotos auf beschrifteten Kalenderblättern los, zur Einstimmung quasi: „Ansichten ‘85 / Harburg – New York, 1984/85“ hat viel biografisches Potential, etwas verschämt vielleicht zwischen Alter und Neuer Welt, zwischen idyllischer Heimat und erstem Kulminationspunkt des Künstlerinnendaseins in New York. Sofort kann der Besucher der implementierten kalendarischen Zahlenlogik folgen: 11+2+8+5 ist 26, es folgt 12+2+8+5 ist 27. Die beiden Daten bezeichnen also den 11.2.85 und seinen Folgetag. Aber so einfach ist die Systematik Welt versus Biografie dann doch nicht. Hanne Darbovens Tagesrechnungen sind Teil ihres Gesamtkonzeptes das spröde sich der Kunstgesellschaft widersetzen wollte und sie doch als lukratives Teilchen qualmend umkreiste, auf einer weit entfernten Parabel – versteht sich.
Existenzielles Modell aus Einzelaspekten
Wenn man sich an den 102 Farbfotografien im „Regenmacher“ satt gesucht und gesehen hat – neben knackigen 1970er Jahren-Werbeburschen auch schon mal die alte grüne Menthol-Zigaretten-Packung der Jugend entdeckt und ins Grübeln kommt, was passieren würde, wenn die Tafeln alle nebeneinander hängen würden, quasi so als knapp 320 Meter-Zeitstrahl – dann rauscht man auch schon in die nächsten Zyklen „Soll und Haben“ und „Welttheater“, beide aus 1993, beide strahlen so etwas wie gegensätzliche Emotionalität aus. Auf der einen Seite transformiert die Künstlerin das „historische“ Kassenbuch eines Hamburger Unternehmers nebst seines kommerziellen Inhaltes zwischen Plus und Minus in eine artifizielle Bedeutung ohne Wertung von Kapital und Resultat, andererseits „baut“ sie eine Welt, die zwar kein Theater, aber dennoch ein existenzielles Modell aus hunderten fotografisch festgehaltenen Einzelaspekten, die sich dreidimensional unter einer gläsernen Vitrinenhaube als Wimmelbild manifestieren, darunter ein Eisbär und ein nordamerikanischer Nativer mit Friedenspfeife. Ist doch logisch.
Hanne Darboven: Der Regenmacher | bis 16. Mai 2021 | Museum Küppersmühle Duisburg
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Tiefer als Realismus
Phänomenal: Karin Kneffel im Museum Küppersmühle in Duisburg – kunst & gut 07/24
Masken und Gesichter
Christoph M. Gais im Museum Küppersmühle in Duisburg – kunst & gut 11/23
Wenn die Farbe die Formen erfindet
E.W. Nay im Museum Küppersmühle in Duisburg – kunst & gut 06/23
Das Leben von Innen
Martin Assig mit einem Werküberblick in der Küppersmühle – kunst & gut 02/23
Brieftauben und Vogelperspektiven
Norbert Kricke in Duisburg – kunst & gut 01/23
Sammeln und Präsentieren
„FullHouse“ in der Duisburger Küppersmühle
– kunst & gut 09/22
Das Rauschen der Farbe
Raimund Girke im Museum Küppersmühle Duisburg
– kunst & gut 06/22
In der Verlängerung beginnen
Museen zwischen öffnen und schließen – Kunst in NRW 02/21
Expressive Ruhe
Erwin Bechtold in der Küppersmühle – Ruhrkunst 04/20
Farbe und Raum
Graubner und Grosse in Duisburg – Ruhrkunst 12/19
Alles Malerei
K.F. Dahmen in Duisburg und Düren – Ruhrkunst 11/17
Aus dem Gleichgewicht
Gleich zweimal: Erwin Wurm in Duisburg – kunst & gut 08/17
Aus zwei Sammlungen
Das frühe 20. Jahrhundert im Kunstmuseum Mülheim – kunst & gut 11/24
Hinter Samtvorhängen
Silke Schönfeld im Dortmunder U – Ruhrkunst 11/24
Keine falsche Lesart
Ree Morton und Natalie Häusler im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 11/24
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
Der Künstler als Vermittler
Frank van Hemert in der Otmar Alt Stiftung in Hamm-Norddinker – kunst & gut 10/24
Gelb mit schwarzem Humor
„Simpsons“-Jubiläumschau in Dortmund – Ruhrkunst 10/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
Die Drei aus Bochum
CityArtists in der Wasserburg Kemnade – Ruhrkunst 09/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
Orte mit Bedeutung
Zur Ruhrtriennale: Berlinde De Bruyckere in Bochum – kunst & gut 09/24
Denkinseln im Salzlager
Osteuropäische Utopien in Essen – Ruhrkunst 08/24
Ausgezeichnet auf Papier
Günter Drebusch-Preis 2023 in Witten – Ruhrkunst 08/24
Räume und Zeiten
Eindrucksvoll: Theresa Weber im Kunstmuseum Bochum – kunst & gut 08/24