Für die retrospektive Ausstellung mit E.W. Nay gibt es kaum einen geeigneteren Ort als die Küppersmühle. Man kann sich den Bildern aus reichlich Abstand nähern, die Durchgänge halten den Blick auf die nächste Stilphase bereit,sodasssich die Werkentwicklung umso anschaulicher erschließt. Hinzu kommt, dass das Museum Küppersmühle, anschließend an die eigene im Neubau ausgestellte Sammlung, kontinuierlich Positionen der Malerei in Deutschland von den Nachkriegsjahrzehnten bis heute vor- und Zusammenhänge herstellt, relativ unbeeindruckt davon, ob die Künstler:innen angesagt oder doch nur Spezialisten bekannt sind.
Der Maler E.W. Nay (1902-1968) ist heute dazwischen einzuordnen. Es kann sogar sein, dass einzelne seiner Bilder mittlerweile bekannter sind als er selbst: In jüngerer Zeit haben sie Millionenerlöse bei Auktionen erzielt. Zu seinen Lebzeiten war Nay ein Star der Szene, er wurde zu den drei ersten documenta-Ausstellungen eingeladen, wo er zuletzt mit monumentalen Deckengemälden die Sehgewohnheiten hinterfragte, und er bespielte den Deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig. Seine Hauptwerke halten die Spannung zwischen Figur und Abstraktion und sind doch weder das eine noch das andere. Sie sind auf Raum und Plastizität angelegt, vermitteln Dynamik und bedenken als farbintensive Großformate das Maß des Betrachters und seine Bewegung mit.
Ernst Wilhelm Nay, der aus Berlin stammt, dort bei Karl Hofer studiert und später in Köln gelebt hat, löst sich in seiner Malerei schon früh vom Abbildhaften. Unter dem Eindruck landschaftlicher Erfahrungen reduziert er das Bildgeschehen. Die Formen bleiben zunächst an die gegenständliche Beobachtung angebunden und das Kolorit ist dunkel gehalten – bevor es in der Nachkriegszeit allmählich bunt und lichtdurchflutet strahlt, ohne die Richtung der gestisch-informellen Kunst einzuschlagen. Eher lässt sich bei diesen, auch in Duisburg ausgestellten Bildern an Kandinsky denken; er zersplittert die Bildfläche und fügt geometrische Elemente ein. Aber die Farbigkeit gibt die Form vor, nicht umgekehrt. Eine „Entdeckung“ von Nay ist die Aktivierung des Weiß: Die Bildfläche pulsiert. Los geht das Mitte der 1950er Jahre mit den großformatigen „Scheibenbildern“, die in dicht expressiven, sich überlagernden Kreisen häufig an Natur denken lassen. Anschließend steigert Nay den Weiß-Anteil und setzt schwarzeStriche, sodass sichBezüge zum Menschen und seinen Augen einstellen. Und danach lösen sich die Farbflächen ganz von jeder Zuordnung, die Farbigkeit wirkt im Wechselspiel mit denWeißpartien dabei mehr wieausschnitthafte Silhouetten als wie Gegenlicht. Mitunter erinnert das an malerische, plastisch „atmende“ Scherenschnitte, diedoch sovertraut sind, organisch und elegant wirken und doch etwas Störrisches, „Unauflösbares“ bewahren. Nay hat diese Bilder in Werkgruppen angefertigt und natürlich stehen sie jetzt im Zentrum der Duisburger Gesamtschau. Großartig! Vor Nay haben geistesverwandte Künstler:innen wie K.O. Götz oder Bernd Koberling hier ausgestellt, und wenn etwas wundert, dann doch nur, dass sein Werk so lange nicht mehr zu sehen war.
E.W. Nay - Retrospektive | bis 6.8. | MKM Museum Küppersmühle in Duisburg | 0203 30 19 48 11
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