„Lotta Feminista“ hat es satt. Satt auf ihren Körper reduziert zu werden. Satt zur Hausarbeit verdonnert zu sein, nur weil sie zufällig die Geschlechtszuschreibung „weiblich“ erhalten hat. Satt, im Jahre 2017 Parolen wie aus den 1950er Jahren hören zu müssen, die sie hinter den Herd und in adrette Kleidchen kommandieren wollen.
In der einstündigen Solo-Performance „How to do things with(out) Wurst“ am 17.2. widmet sich die „Europäische Gemeinschaft für kulturelle Angelegenheiten“ (kurz EGFKA) dem feministischen Widerstand gegen das Patriarchat von heute. Der Abend wurde bereits im Ballhaus Ost in Berlin gezeigt und ist der Startschuss für eine zweijährige Zusammenarbeit zwischen dem Ringlokschuppen Mülheim und dem EGFKA. In diesen zwei Jahren sollen vor allem Anastrophenszenarien entwickelt werden – „Katastrophenszenarien gibt es ja schließlich mehr, als wir vertragen können“.
„How to do things with(out) Wurst“ entwirft allerdings noch kein Szenario, weder in die eine noch in die andere Richtung. Vielmehr geht es in dem Monolog um die Feststellung des Status Quo des Feminismus bzw. der Rolle der Frau in privaten und globalen Zusammenhängen – und laut „Lotta Feminista“ gibt es ausgehend von der aktuellen Lage nur einen Weg: Den Generalstreik der Frau. Schluss mit Haus-, Sex- und Pflegearbeit! Frauen sollen endlich mehr wollen als Schokolade, Wellness und Crémant! Die „Sklaverei am Spülbecken“ muss ein Ende haben! Nie wieder Kinderhintern abwischen und Mäuler stopfen! Schluss mit dem Schönheitswahn! Nie wieder Beine rasieren!
Um das global real existierende Problem der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen aufzuzeigen, wird an diesem Abend immer wieder auf die Reproduktionsarbeit, sprich Haushaltsführung und Kinder aufziehen, verwiesen. Es steht außer Frage: Dass diese Arbeit nicht auf dem Konto sichtbar entlohnt wird, ist ein Skandal. Dass es Frauen gibt, die diese Arbeit unter Zwang verrichten müssen – noch viel mehr. Auch die Bilderflut und Versprechungen der Beautyindustrie können nicht genug angeprangert werden, sorgen sie doch für verzerrte Selbstwahrnehmungen und unrealistische Körperansprüche.
Dem ist kein „Aber“ entgegenzusetzen. Nur ein „Und“. Denn der Abend übersieht grundlegendes. Er übersieht eine Vielzahl von Frauen, für die sich Dinge nicht ausschließen: Mutter und „pro choice“ zu sein ist kein automatischer Widerspruch. Es ist durchaus möglich, ein Bewusstsein für die Entgleisungen der Modemagazine zu haben, und dennoch gerne Lippenstift zu tragen. Es ist machbar, gerne zum Sport zu gehen und es dabei nicht auf ein Heidi Klum kompatibles Körperbild abgesehen zu haben. Hausfrau sein und gleichzeitig überzeugte Feministin? Selbstverständlich!
Für „Lotta Feminista“ gibt es allerdings nur entweder oder. Laut ihren Aussagen haben sich die, die sich als glückliche Hausfrau bezeichnen, nur mit ihrer Rolle arrangiert, sind Sachzwängen oder der Übermacht des weißen Mannes ausgeliefert. Die Fähigkeit, sich selbstermächtigt dafür zu entscheiden, traut sie diesen Frauen nicht zu. Im Gegenteil. Sie erhebt sich geradezu selbstgefälligüber sie. Soll das moderner Feminismus sein?
Die junge Frau auf der Bühne will im Namen aller unterdrückten Frauen sprechen. „Ich bin die Studentin, die auf dein Kind aufpasst.“ „Ich bin die, die dein Büro putzt.“ „Ich bin die, die dich geboren hat.“ Was sie leider versäumt, ist ihre eigene Sprecherin-Position offen zu reflektieren. Ihre Position als weiße, privilegierte Frau. Ihre mächtige Position im Raum, oben auf einer Bühne, der das Publikum unten eine Stunde lang zuhören wird. Erwartet wird hier kein privater Seelenstriptease, sondern eine theoretische oder philosophische Betrachtung der theatralen Situation, die von einem in dieser Art angekündigten Abend und von diesem Kollektiv durchaus vorausgesetzt werden kann.
Im Jahre 2017 hat der Feminismus immer noch erschreckend viel zu tun. „Lotta Feminista“ hat zu einhundert Prozent Recht, wenn sie darauf hinweist, dass es nicht mit einigen wenigen erfolgreichen Geschäftsfrauen getan ist. Genau!!! möchte man rufen, wenn sie sich am Ende vor allen stillen Kämpferinnen verneigt, auf die keine Scheinwerfer gerichtet sind. Was sie dem Publikum schuldig bleibt, ist der der konkrete Vorschlag, wie dieser doch so dringende Generalstreik gestaltet werden soll. Wie könnte diese Utopie aussehen? Und wie sollen die Verhältnisse bloß gerechter werden, wenn Frauen untereinander immer noch Schwierigkeiten haben, unterschiedliche, selbstermächtigte Lebensentwürfe zu respektieren?
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