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Rouven Lotz
Foto (Ausschnitt): Leszek Januszewski

„Auf Fautrier muss man sich einlassen“

28. Juni 2024

Direktor Rouven Lotz über „Jean Fautrier – Genie und Rebell“ im Emil Schumacher Museum Hagen – Sammlung 07/24

Das Emil Schumacher Musem Hagen zeigt seit über 40 Jahren die erste deutsche Einzelausstellung zum französischen Künstler Jean Fautrier (1898-1964). Ein Gespräch mit Museumsdirektor Rouven Lotz.

trailer: Herr Lotz, warum stellt man einen Künstler aus, dessen Werke einst abwertend als Gipspampe mit Farbsoße gesehen wurden?

Rouven Lotz: Was soll ich darauf antworten? Die abstrakte Kunst, mit der wir hier umgehen, ist in den Zeiten, die hoffentlich nicht wiederkommen, als Geschmiere diffamiert und als entartet bezeichnet worden, und sie ist dann auch in ihrer Entwicklung aufgehalten worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist man in Deutschland dahingekommen, diese Kunst erst recht machen zu wollen und sich darüber frei zu entfalten. In Europa ist glücklicherweise ziemlich früh wahrgenommen worden, dass diese Kunst sogar in Deutschland wieder möglich war und dadurch ist auch die Außenwahrnehmung der jungen Bundesrepublik positiv beeinflusst worden. Jean Fautrier ist ein Künstler, der sich ohne Einflussnahme der Nazis auf seine Werkentwicklung frei entwickelt hat und für viele Künstler in den 1950er Jahren zum Vorbild wurde. Gerade auch viele deutsche Künstler sind in den 1950er Jahren nach Paris gereist, um sich dort zu orientieren. Aus westlicher Perspektive war die Stadt zu dieser Zeit noch das Weltzentrum der zeitgenössischen Kunst. Und dort sind sie auch auf Werke von Jean Fautrier gestoßen. 

Warum wurde Fautrier seit über 40 Jahren nicht mehr in größerem Umfang ausgestellt?

Das ist für mich tatsächlich unerklärlich, weil dieser Künstler eben so bedeutend ist. Es gibt eigentlich keinen Informellen, der sich nicht in irgendeiner Form auf Fautrier bezogen hat. 1980 war in Köln die letzte große Sonderausstellung in Deutschland. Wir haben den damaligen Kurator als Mitautoren für unseren Katalog gewonnen, er hat den Haupttext geschrieben. Man kann gerade mit einem retrospektiven Blick erkennen, dass zahlreiche private Sammlungen hier in NRW, im Rheinland wie auch in Westfalen hervorragende Bestände von Jean Fautrier haben. Diese Sammlungen sind zum Teil vor Jahrzehnten angelegt und nach und nach noch ergänzt worden. Das fällt alles in die Zeit um 1980. Da war Fautrier auch aus deutscher Sicht als Größe bekannt – das hat sich bis heute erhalten. Fautrier ist ein sperriger Künstler, die Persönlichkeit muss sehr schwierig gewesen sein, und er ist ein Künstler, auf den man sich einlassen muss. Ihn jetzt nach so langer Zeit bei uns präsentieren zu können, das ist für mich ein Glücksfall. 

Fautrier bediente Gattungen wie Malerei, Grafik, Radierungen und Bildhauerei. Was ist überhaupt zu sehen?

Von all diesen genannten Gattungen ist etwas zu sehen, damit wir das gesamte Werk vorstellen können. Es gibt vier plus ein Künstlerbuch, das sind eher Grafikmappen, dafür hat er Texte von Literaten, mit denen er befreundet war, malerisch übersetzt, also in eigener Form bearbeitet. Die zeigen wir exemplarisch, aus Platzgründen nicht Seite um Seite. Wir haben ganz frühe Werke aus den 1920er Jahren, wo man sehen kann, wie er an seinem Karriereanfang von Dix und Grosz beeinflusst war, und da sind seine figurativen Akte. Die Hässlichkeit, die er sich traut, hatte er im Realismus bei Otto Dix gesehen, aber das sind ganz bezaubernde, anrührende Akte, bei denen es nicht um eine Idealisierung der Aktgestalten, sondern um natürliche Porträts geht. Ein ganz besonderer Werkaspekt sind die „Originaux multiples“. Damit ist er dem Multiple nahegekommen, das man ja erst in den 1960er Jahren erfunden hat. Er hatte schon ein Jahrzehnt vorher versucht, eine Originalkunst für alle zu entwickeln. Und man darf natürlich nicht Fautriers „Otages“ („Geiseln“, Anm. d. Red.) vergessen, die in einer Fautrier-Ausstellung gerade in Deutschland nicht fehlen dürfen. Dieser seit 1943 entstandene Werkkomplex ist ein Denkmal der deutsch-französischen Geschichte und ein Mahnmal dafür, was Menschen Menschen antun.

Wie wichtig sind die Skulpturen im Werk und in der Ausstellung?

Fautrier war ein sogenannter Maler-Bildhauer, er war also eigentlich Maler und hat zusätzlich auch als Bildhauer gearbeitet. Er hat Plastiken entworfen, die eine Erweiterung seiner Malerei darstellten und gleichzeitig Rückschlüsse zuließen hinsichtlich seines malerischen Œuvres. Die spielen in dieser Sicht eine große Rolle. Er hat oft 9er Auflagen geplant. Die Auflagen sind aber zum Teil nicht komplett gegossen worden, wahrscheinlich weil die dafür benötigte Bronze während des Zweiten Weltkriegs für künstlerische Arbeit in der Regel nicht benutzt werden durfte. 

Jean Fautrier, Le moulin à poivre, o. J., Original multiple, 27 x 35 cm, Privatsammlung, Deutschland. Foto: Emil Schumacher Museum/Joachim Schwingel

Die Geschichte des Informel ist nicht ganz einfach. Wie erklärt man denn jetzt den Hasen im Publikum die Bilder?

Das ist bei Fautrier ganz einfach. Er kommt erstmal vom Gegenstand und malte Stillleben, Landschaften, Akte und Porträts. Das kann man sich bei uns ganz unmittelbar angucken und sehen, wie er es gemalt hat und erkennen, dass es ja auch nur eine Unterstellung ist, dass Informel-Künstler nicht malen konnten. Da kann in unserer Ausstellung und im Œuvre von Fautrier nachvollzogen gesehen werden, wie er nach und nach Dinge weglässt und dann irgendwann zu Bildlösungen kommt, die landschaftlich gedacht sind, aber genau dahin führen, was die Informellen gemacht haben. Streng genommen muss man ganz klar sagen, Fautrier ist kein informeller Künstler. Er wollte das auch nicht sein. Informel ist ein französisches Wort und stark geprägt worden von einem wichtigen französischen Denker, aber nach unserer Lesart wird eigentlich immer der deutsche Art Informel gemeint. 

Jean Fautrier – Genie und Rebell | 30.6.-27.10. | Emil Schumacher Museum Hagen | 02331 306 00 66

Interview: Peter Ortmann

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