Essen, 6. Oktober – Eher selten kommt es nach einer Deutschland-Premiere im großen Haus der Lichtburg zu einem engagierten Filmgespräch. Dem jungen Filmemacher Christian Bach gelang das Kunststück mit seinem Debüt „Hirngespinster“, das vom Essener Publikum mit viel Applaus bedacht wurde. Alle Beteiligten der Produktion waren in der sympathischen Präsentation voll des Dankes für Marianne Menze, der Chefin der Lichtburg, die sich seit Jahrzehnten unermüdlich für den Arthouse-Film einsetzt. Und so kam es dazu, dass auch ein kleiner, feiner Film die Chance des ganz großen Auftritts bekam. Auf dem roten Teppich besonders begehrt waren die beiden Hauptdarsteller Tobias Moretti und der junge Jonas Nay. „Hirngespinster“ ist ein Film, der von der fabelhaften Leistung der DarstellerInnen lebt. Erzählt wird das Familiendrama aus der Perspektive von Simon, dessen Leben in der Sackgasse steckt. Denn sein charismatischer Vater leidet unter Schizophrenie, verweigert aber jegliche Behandlung. Das stellt das Familiengefüge auf eine harte Probe und macht das Zusammenleben unberechenbar.
Inspiriert ist das Drehbuch von einer realen Familie, die dem Regisseur Christian Bach nahesteht. Dann wurde natürlich hinzugefügt und verdichtet, bis eine funktionierende Film-Geschichte entstanden war. Ein Stipendium in der Drehbuchwerkstatt München gab Bach genügend Freiraum, sich auszuprobieren. Das fertige Buch war dann so überzeugend, dass Produzentin Nathalie Scriba sich sofort für das Projekt interessierte und einstieg. Tobias Moretti spielt die Zerrissenheit des ehemals erfolgreichen Architekten mit großer Intensität, und er gestattet seiner Figur auch sympathische und witzige Momente. Das gibt dem Film, wie unisono im Publikum und auf der Bühne festgestellt wurde, eine Leichtigkeit, die die Zuschauer mitnimmt in ein kompliziertes Geflecht aus Loyalität, Liebe und Unzumutbarkeit. Und so soll der Film, wie Produzent Andreas Richteranschließend betont, über das Krankheitsbild Schizophrenie hinausweisen. Es geht vielmehr darum, wie eine Familie grundsätzlich nach einem Schicksalsschlag oder mit einem dysfunktionalen Mitglied weiter funktionieren kann. Um zu betonen, dass die Geschichte im Prinzip überall stattfinden könnte, wurde beim Drehort Wert auf Neutralität gelegt. Es sei gar nicht so einfach gewesen, in Bayern eine Stadt zu finden, die nicht nach Bayern aussieht, kommentierte der Regisseur schmunzelnd. „Mit viel Liebe kann man viel erreichen“, war die Quintessenz einer Zuschauerin am Ende, und es bleibt uns überlassen, ob sich dies auf den Inhalt des Films oder die engagierte Filmcrew auf der Bühne bezog.
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