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Underdressed, aber mit Stil: Hilmi Sözer gibt neben Güzin Kar den Glücksratgeber Hüsnü
Foto: Benjamin Trilling

Feministischer Pornodarsteller für das Glück

28. Oktober 2015

Literatürk: „Jetzt kommt Hüsnü“ am 27.10. in der Zeche Carl

Menschenrechte ist das diesjährige Thema von Literatürk. Eines dieser Rechte scheint in der spätkapitalistischen Gesellschaft erfüllt zu sein – zumindest wird es überall wohlfeil angeboten: Glück. Von Käßmann bis Hirschhausen – der Ratgeber ist längst zur beliebten Gattung auf dem Buchmarkt geworden. Und alle wissen Bescheid, wie ein gesundes, erfülltes und glückliches Leben zu arrangieren ist. Skurrile Beispiele zählt auch Hüsnu auf: „Essen Sie sich glücklich“, „98 Wege zum Glück – der Orgasmus-Ratgeber für Ehepartner“ oder „Geschlechtskrankheiten als Chance“. Hüsnu, das ist der wohl ungewöhnlichste Lebensberater, den man sich vorstellen kann: ein schmieriger Pornodarsteller der 70er, mit sieben Schwestern im Süden der Türkei aufgewachsen und überzeugter Feminist, steht den Ratsuchenden als Kolumnist einer Schweizer Tageszeitung mit mehr oder weniger weisen Lebenstipps bei. In der Zeche Carl wird diese Kunstfigur der Autorin Güzin Kar in einer szenischen Lesung von Schauspieler Hilmi Sözer (u.a. „Was nicht passt, wird passend gemacht“) gespielt – mit langen schwarzen Haaren, Riesenschnauzbart, Brustfell und ranziger Sonnenbrille.

 

Von der Kunstfigur zur Realsatire

 

Was im Kolumnen-Format als satirische Kunstfigur auf die Verheißungen der Glücksindustrie begann, entwickelte schnell ein spannendes Eigenleben: „Es kamen echt Briefe von Leuten rein, die einen Rat suchten“, erzählt Autorin Güzin Kar. „Irgendwann fing Hüsnü an zu leben. Er wurde sogar so real, dass ich selbst anfing, ihn um Rat zu fragen.“ Nachdem in der Basler Zeitung einige Lebensratschläge von Hüsnu in gebrochenem Deutsch – oder, wie er es selbst nennt, „Tiefdeutsch“ – erschienen, trudelten auch die ersten LeserInnenbriefe in der Redaktion ein: „Es entwickelte sich durch die Kolumnen eine Art Dialog mit der Kunstfigur“, so Güzin Kar. Einige gingen auf diesen Glücksbringer ein, andere empörten sich. Die Highlights, eine Art Hate Poetry, liest Kar vor: „Diesen Dreck lassen wir uns nicht bieten“; „Journalistischer Abschaum“, oder: „Hüsnu oder ich!“.

 

40 AbonnentInnen forderten Hüsnüs Absetzung

 

In einem Brief von 40 AbonnentInnen wurde sogar gedroht, das Zeitungsabo zu kündigen, falls Hüsnüs Kolumnen nicht abgesetzt würden. Unterzeichnet wurde dieser Brief, der gleich zwei mal die Redaktion erreichte, von einer Leserin namens Albertine. „Deswegen ist dieses Buch auch Albertine gewidmet“, bemerkt Kar. In ihrem Buch „Hüsnu hilf“ hat die Schriftstellerin neben einem Best-of dieser Reaktionen auch einen fiktiven Dialog ihres schnurrbärtigen Glücksengels mit ihrer Rat- und Sinn suchenden Protagonistin verwoben. Nicht selten mit amüsanten Seitenhieben auf den Kultur- und Medienbetrieb. So hat Thilo Sarrazin natürlich unrecht, wenn er behauptet, MigrantInnen würden die abendländische Kultur mit einer höheren Geburtenrate unterwandern. „Nein, sie schicken ihre unfähigsten Schnurrbärte und lassen sie die Kultur verwüsten.“ Nicht zuletzt wegen der Performance Hilmi Sözers eine unterhaltsame Verwüstung, der Kultur- aber auch der Glücksindustrie. Am Ende der Lesung blickt Güzin Kar ins Publikum: „Haben Sie Fragen an Hüsnu?“. Nur ein Lachen schallt durch den Raum. Alle schienen glücklich zu sein.

Benjamin Trilling

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