Schon seit Monaten beschweren sich einige NachbarInnen über die Problemschule in ihrem Stadtteil. Immer sei etwas auf dem Schulhof los. An einem Vormittag hält auch die Polizei mit einem „sehr schönen Auto“ vor der Schule. Angerufen wurden sie von einer Lehrerin, die ihre Brieftasche vermisst. Jetzt wartet sie im Klassenzimmer, das sie zugleich von innen abgeschlossen hat, denn, so gibt die Ich-Erzählerin zu Protokoll, „ihre Schüler sind ihr sowieso suspekt.“
Als die Polizei in den Raum tritt, will sich keiner als Dieb zu erkennen geben. Bis sich dann zwei Schüler mit einem Hinweis melden: „Herr Polizei, wir haben zwei Roma-Jungen in unserer Klasse.“ Die Polizisten führen die beiden „Roma-Jungen“ in ein anderes Zimmer, doch die beiden Schüler wissen schnell Bescheid: „Ich weiß, warum Sie uns mitgenommen haben – weil wir Roma-Kinder sind.“ Einer der Polizisten verneint das ruhig und erklärt, dass das nicht der Grund sei. Man habe sie nur mitgenommen, weil man herausfinden möchte, wer die Brieftasche geklaut hat.
Nur eine von wenigen Szenen aus Eva Ruth Wemmes Buch „Meine 7000 Nachbarn“, die bezeichnend ist für den vorherrschenden Rassismus.
Trotz örtlicher Nähe so fern
Doch es ist vor allem das Elend, über das Wemme aufklärt. Die Übersetzerin, die in Berlin-Neukölln Roma bei der Übersetzung, der Wohnungs- und Jobsuche oder Anträgen für Behörden hilft, erzählt aus dem Leben dieser Menschen. Was Wemme in ihrer Lesung im Essener Kulturzentrum Grend im Rahmen des Literatürk-Festivals schildert, ist eigentlich gar nicht so weit weg: zuletzt geriet etwa Duisburg mit einem von Roma bewohnten Problemhaus in die Schlagzeilen.
Die üblichen Begriffe fielen: Verwahrlosung, Kindergeldbetrug, Armutseinwanderung. Eva Ruth Wemme lüftet einen unverhohlen rassistischen Diskurs: Sie zeigt die Menschen hinter den Mythen. Da ist eine schwangere Frau, der man im Krankenhaus sagt, dass ihr Kind noch am selben Tag zur Welt kommt und zugleich auffordert, die Klinik zu verlassen, weil sie sich die Krankenversicherung nicht leisten kann. Da sind andere Mütter, die ihre Kinder nicht ernähren können, überall verschuldet sind und täglich fürchten, dass der Strom abgestellt wird.
„Sie machen mir Mut“
Eine andere Frau schwänzt einen Sprachkurs, der ihr vom Jugendamt aufgedrückt wurde, um Zeitungen verkaufen zu können, damit sie ihre Kinder ernähren kann. „Dass sie bald vor das Jugendamt gestellt wird, kann sie sich nicht vorstellen. Alles erscheint wie ein Spiel.“ Nüchtern schildert Wemme all diese Schicksale von Menschen, die ihr begegnet sind. Es ist eine karge Sprache, ohne Floskeln, ohne Larmoyanz, ein dokumentarischer Stil der an Texte wie Erika Runges Interviewsammlung „Bottoper Protokolle“ oder Christian Geisslers sozialrealistische Literatur erinnert.
Und doch steckt in der Prosa Hoffnung, wie auch eine Zuhörerin nach der Lesung bestätigt: „Ich bewundere Sie für ihre Arbeit und die Leichtigkeit, die Sie sich bewahrt haben. Sie machen mir Mut.“
Die allgemeine rassistische Propaganda scheint dagegen allgegenwärtig zu sein: es ist ein lautes Getöse, der mythische Blick auf die Sinti, auf die EinwanderInnen, ein Mythos, gegen den Wemme einen leisen aber engagierten Einwand einlegt, eine humanistische Anklage, die nachhallt. Oder wie es die Autorin nach der Lesung selbst zusammenfasste: „Das ist jetzt der Aufruf: Es geht so nicht weiter!“
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