Selbstinszenierungen gehören zu den Schrullen von SchriftstellerInnen. Karen Köhler ließ kein Klischee aus, als sie mit erst 15 Jahren im Anzug ihres Großvaters in einem Café saß und einen Zigarillo paffte, wie sie an diesem Abend erzählt. Einige Jahre später schlüpfte die studierte Schauspielerin schließlich wirklich in die Rolle einer Romanautorin – und entwickelte eine weitere Marotte, die spätestens seit Martin Walsers „Tod eines Kritikers“ zum narzisstischen Naturell von SchriftstellerInnen gezählt wird: die Panik vor dem feuilletonistischen Echo.
„Ich lese keine Rezensionen“, sagt Köhler bei ihrer Literatürk-Lesung, die aufgrund der großen Nachfrage verlegt wurde: Zentralbibliothek statt Buchhandlung Proust, wie zunächst geplant. Doch so beliebt wie unter den Festivalgästen erschien ihr Debütroman „Miroloi“ unter vielen Rezensenten nicht. Was da alles beklagt wurde: „Logikfehler“ (seit wann müssen Romanwelten einem logischen Denken verhaftet bleiben?), Marketing-Nummer (unternimmt das nicht jeder Verlag mit seinen Neuerscheinungen?) und schließlich der Hauptvorwurf, dass hier nur das „Trend-Thema“ Feminismus verpackt wurde (Jungs, studiert die Literaturgeschichte!)
Grund genug, solche Verrisse zu vermeiden, hatte Karen Köhler also genug. Doch dass die Besprechungen mehr über die Rezensenten verrieten als darüber, was eigentlich dieser Roman schildert, ist letztendlich auch ihr nicht entgangen: „Es fiel auf, dass die harsche Kritik von männlicher Seite kam.“ Feministische Motive lassen sich natürlich in diesem Werk lesen. Das beginnt bereits beim Titel. Denn das griechische Wort (zu deutsch: „Rede über das Schicksal“) bezeichnet ein von Frauen gedichtetes und gesungenes Totenlied für einen Verstorbenen.
Köhlers Protagonistin und Ich-Erzählerin singt bereits früh ihr eigenes Miroloi. Tod ist sie noch nicht. Doch leben kann diese Namenlose in dem Ort, genannt „schönes Dorf“ nicht. Es wird beherrscht von einem Ältestenrat, der sich auf Götter und Gesetzte beruft. Patriarchats-Parabel? Auch. „Es geht darum, dass eine Mikrogesellschaft jemanden ausschließt, obwohl die Parameter aberwitzig sind.“ So bleibt es Köhlers Hauptfigur verboten, lesen und schreiben zu lernen. Grund: Sie hat einen „Schlitz“, keinen „Zipfel“.
Doch diese Anklänge an eine Patriarchatskritik, der geschilderte Versuch, aus einer archaischen Inselgesellschaft auszubrechen, sind mit einer geschickten Emanzipationsgeschichte verschränkt. Denn Köhlers Hauptfigur wird als Ausgesetzte eingeführt: Ihre Mutter hat sie im Dorf abgelegt, in einem Karton aus Zeitungen. „So eine wie mich, sagen sie, so eine hätten sie weggemacht.“ Und so hinkt diese junge Frau wegen „der Sache mit meinem Bein“ so schnell, als würde sie eigentlich nur eins wollen: sich wegmachen.
Doch das funktioniert nicht. „Unser Dorf hat tausend Augen, die sehen alles, alles, alles. Unser Dorf hat Nasen, die riechen sich bis in deine Seele, schnuppern das letzte Geheimnis aus dir heraus. Und was die Augen nicht sehen und was die Nasen nicht riechen, das hören die Augen.“ Macht durchdringt alle Sinne. Und dann kommen noch Wörter wie „Eselhure“, mit der diese Protagonistin bombardiert wird. Irgendwann lernt sie schließlich zu lesen. Alphabetisierung und die Kenntnis des Konjunktivs ermöglichen eine Distanzierung zur Welt. „Sie reflektiert sich“, sagt Köhler über den Wissensdrang ihrer Figur. „Sie sprengt die Fesseln ihrer Kindheit.“ So dreht sich vieles um Sicht- und Unsichtbarkeit, Repräsentation und Sprache. Denn die Gewalt der Benennung ermöglicht der jungen Frau in einer Welt, in der alle Dinge einen Namen haben, außer sie selbst, erst einen Emanzipationsprozess. Weswegen Köhler ihrem Roman ein Zitat von Hannah Arendt voranstellt: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.“ Dass Wörter dieses Verhältnis zur Welt und damit zum Beherrschtsein umstürzen, erscheint in Köhlers Werk fast wie ein Wunder.
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