Die Musik ist schon da, als Lizz Wright die Bühne betritt. Langsam, Schritt für Schritt läuft sie wie gebettet auf sanftem Gitarrenpicking und ausbalancierten Akkorden im langen weißen Abendkleid auf die Bühne der Philharmonie Essen. Dann ist das Intro vorüber und Wright singt. Ihr rauchig-warme Stimme schmiegt sich an den Raumklang, mühelos, als ob es das Natürlichste der Welt wäre.
Der Abend beginnt mit „Somewhere down the Mystic“, danach folgt das bluesige „Barley“. Lizz Wright kehrt in diesem Konzert zurück zu ihren Wurzeln, jedes Lied ist eine Ode an den US-amerikanischen Süden. Wright kommt aus einer Kleinstadt in Georgia, die Songs sind Coverversionen von Größen wie Ray Charles, Nina Simone oder Sister Rosetta Tharpe, aber auch von aufstrebenden Künstlern wie den Rose Cousins oder den Birds of Chicago. Die Arrangements von Joe Henry tauchen jedes Lied in eine südlich-sinnliche Klangwelt: entschleunigte Rhythmen, starke Betonungen der Base Drum, Jazzbesen und choralartige Akkorde der Hammondorgel.
Die Band gruppiert sich um Wright und legt ein weiches Klangbett mit viel Rhythmik unter ihre Stimme. Wenn Wright vom Mikrofon einige Schritte zurücktritt, ein Tambourin in die Hand nimmt Platz für Soli macht, überzeugen vor allem Bobby Sparks an der Hammondorgel und Adam Levy an der Gitarre. Sparks baut riesige Cluster auf, die sich in wilde Glissandi verwandeln, dafür benutzt er sogar seinen Unterarm. Levy setzt schräge Akzente und rast die Jazzskalen rauf und runter. Ben Zwerrin an der Bass-Gitarre und Michael Jerome am Schlagzeug liefern das rhythmische Fundament.
Zwischen die Stücke flicht Wright lustige Anekdoten aus ihrer Kindheit, wie ihr Priester-Papa ihr den Gospel zeigte, was sie fühlt, wenn sie wieder in den Süden kommt. Das drückt sie in dem bekannten „Southern Nights“ von Allen Toussaints aus – in einer spritzigen Jazzversion. Ihre Stimme umschmeichelt die vibrierenden Akkorde der Hammondorgel und die Südsehnsucht wird hörbar. Wright vereint Gospel, Blues, Soul, Country und Jazz. Die Stücke spiegeln ihren ländlichen Background wieder, zeigen aber auch ihre Entwicklung zum internationalen Jazzstar. Trotzdem bleibt Wright bei jedem Song bescheiden, stellt mit coolem Charme die Musik und das Konzerterlebnis in den Vordergrund.
Die Philharmonie Essen ist erschreckend leer, deutlich weniger als die Hälfte der Sitzreihen sind spärlich gefüllt. Wright kommentiert das auf ihre humorvolle Art: „I guess it‘s a big secret that I am playing here tonight.“ Und sie schafft es, so zu singen, als ob alle in einem lauschigen Jazzclub sitzen würden. „It was a challenging night to see so much space, but it was a naked experience and I feel blessed“, kommentiert die Sängerin den intimen Abend. Zum Schluss singt sie „All the Way Here“, eine Eigenkomposition mit Maria Sharp. Mit tosendem Applaus steht das Publikum geschlossen auf, Wright und die Band verbeugen sich und geben als Zugabe Bob Dylans „Every Grain on Sand“ in einer herzöffnenden Version. Ein berührender Abend.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Wiederentdeckt
Werke von Amerikas erster schwarzer Klassikerin in Essen – Klassik an der Ruhr 04/24
Blut und Tränen
„Lessons in Love and Violence“ in NRW – Klassik an der Ruhr 04/23
Musik von Anfang an
Babykonzert in der Philharmonie Essen
Blick in Tschaikowskys Seele
Essener Philharmoniker
„Mich begeistert unser Publikum“
Der Essener Generalmusikdirektor Tomáš Netopil über seine Arbeit – Interview 09/19
Melodien über Chocobos und Mogrys
„Final Symphony II“ in der Essener Philharmonie – Musik 05/19
Daniel Hopes Sommernachtstraum
Großes Finale der Hope-Residenz in Essen – Klassik an der Ruhr 06/18
Eine Woche voller Feiertage
„Park Sounds“ im Essener Stadtgarten – das Besondere 06/18
Experimente mit Wassermelone
Herbie Hancock in der Philharmonie Essen – Musik 11/17
Musikalischer Sommergruß
Die Philharmoniker aus Dortmund und Essen huldigen der Natur – Klassik an der Ruhr 07/17
Der romantische Mozart
Thomas Hengelbrock bringt Mendelssohns Musik nach Essen – Klassik an der Ruhr 12/16
Dimensionen der Verständigung
Essen untersucht Musik und/als Sprache – Klassik an der Ruhr 11/16
Das blaue Licht in Bochums Norden
Otto Groote Ensemble im Bochumer Kulturrat – Musik 12/24
Schummerlicht und Glitzerhimmel
Suzan Köcher's Suprafon in der Bochumer Goldkante – Musik 12/24
Pessimistische Gewürzmädchen
Maustetytöt im Düsseldorfer Zakk – Musik 11/24
Komm, süßer Tod
„Fauré Requiem“ in der Historischen Stadthalle Wuppertal – Musik 11/24
Konfettiregen statt Trauerflor
Sum41 feiern Jubiläum und Abschied in Dortmund – Musik 11/24
Erste Regel: Kein Arschloch sein
Frank Turner & The Sleeping Souls in Oberhausen – Musik 10/24
Eine ganz eigene Kunstform
Bob Dylan in der Düsseldorfer Mitsubishi Electric Halle – Musik 10/24
Psychedelische Universen
Mother‘s Cake im Matrix Bochum – Musik 10/24
Sich dem Text ausliefern
Bonnie ,Prince‘ Billy in der Essener Lichtburg – Musik 10/24
Improvisationsvergnügen
Das Wolfgang Schmidtke Orchestra in der Immanuelskirche – Musik 09/24
Essen-Werden auf links drehen
Cordovas im JuBB – Musik 09/24
Rock ‘n‘ Roll ohne Schnickschnack
Gene Simmons und Andy Brings in der Turbinenhalle Oberhausen – Musik 08/24
Vielfalt, Frieden und Respekt
3. Ausgabe von Shalom-Musik.Koeln – Musik 07/24