Ein sonniger Frühlingstag in Dortmund: während sich mal wieder Neonazis zum gemeinschaftlichen Hass-Marsch treffen, kommt im Künstlerhaus Dortmund eine kleine Ansammlung von Dokumentar-FilmemacherInnen zusammen, um im Kollektiv produktiv zu sein. Menschen, die ihr eigenes Beobachten fixieren. Heute beobachten sie sich selbst. Sie kommen aus dem Ruhrgebiet, aus Hessen, Berlin, den Niederlanden, aus der Schweiz. Zwischen 25 und 50 Jahre sind sie alt und haben alle die Master School Dokumentarfilm der Filmwerkstatt Münster absolviert.
„Ich habe mehr als 40 Projekte scheitern sehen in den letzten Jahren. Wir sollten also heute auch über alternative Finanzierungsmöglichkeiten zu den herkömmlichen Stiftungen und Sendern sprechen.“ Nach einer herzlichen Begrüßung spricht Horst Herz direkt an, worum es gehen muss an diesem Wochenende: die Zeit als Gruppe zu nutzen, um alternative Produktionswege in den Blick zu nehmen. Herz leitet die Master School seit 20 Jahren, noch viel länger ist er Dokumentarfilmer. Er weiß, wie schwierig es ist, von dem Beruf zu leben. Nicht alle in der Gruppe sind hauptberuflich DokumentarfilmerInnen; aber sie alle eint, dass sie Themen dokumentieren, die ihnen am Herzen liegen.
Es ist ein Arbeitstreffen, aber die Stimmung ist wie auf einer Klassenfahrt – heiter, munter und aufgeschlossen. Im Künstlerhaus Dortmund trifft sich die Gruppe in der Regel zweimal im Jahr, um sich auszutauschen, über aktuelle Projekte zu sprechen und voneinander zu lernen. „Man muss die Festivals kennen, direkten Kontakt haben, sich auf einen Kaffee mit denen treffen“, erklärt Herz. Manche teilen ihr Knowhow in Sachen Kameraarbeit, andere können Tipps für Crowdfunding-Kampagnen, Film-Schnitt oder das Schreiben von Konzepten geben.
Aber die Treffen der ehemaligen AbsolventInnen sind auch ein Ort, um Kraft zu schöpfen. Man diskutiert gemeinsam die Situation des Dokumentarfilms im Kino und Fernsehen – geteiltes Leid ist halbes Leid. Es geht um die Problembewältigung im Kollektiv, weil es allein oft schwer ist. Außerdem geht es um das inhaltliche und künstlerische Korrektiv der eigenen Perspektive; die eigene Beobachtung ist schließlich auch immer nur einer aus einer Vielzahl möglicher Blickwinkel. Manche müssen beobachtet werden, anderes findet kaum Beachtung.
So unterschiedlich wie die Teilnehmenden sind ihre Stoffe: sie reichen vom elterlichen Gasthaus als Zentrum eines schrumpfenden Dorfes, über die Kinokultur im Ruhrgebiet oder ein Aufnahmezentrum für Geflüchtete in Deutschland bis zu einer Band der Arbeitslosenhilfe. Daneben Menschen, die leidenschaftlich gern Tierkostüme tragen und Furys genannt werden, sowie eine meditative Betrachtung des Meers. JedeR bekommt etwa eine Stunde, um ein Projekt vorzustellen. Ideen werden skizziert, Trailer und Rechercheaufnahmen gezeigt, dann wird diskutiert. Der spontan erstellte Zeitplan ist eng getaktet. Bereits nach den ersten Vorträgen ist die Gruppe im Verzug – die Beobachtungen, Anmerkungen und die Kritik brauchen ihre Zeit, die Kaffeepausen auch. Dreißig Augen sehen viel und fünfzehn Hirne laufen heiß und wollen sich mitteilen. Jede Idee stößt auf Interesse, keine wird bloß aufgrund mangelnder Markttauglichkeit verworfen. Die Filme sollen gemacht werden und sie sollen gut werden, das ist der Anspruch.
Geld ist dennoch bei jedem neuen Projekt immer wieder Thema. Ist eine erste Idee da, wird recherchiert. Dann müssen Anträge ausgearbeitet und überarbeitet werden. Nach der Abgabe an verschiedene Stellen heißt es: Warten und Hoffen. Dann kommen Zusagen und Absagen. Oft reicht das Geld dann nicht wirklich aus. Aber weil bereits so viel Zeit, Kraft und auch Geld investiert wurde, macht man es trotzdem.
Neben all den Schwierigkeiten gibt es auch motivierende Erfolgsgeschichten zu hören. Alina Cyranek etwa hat ihren Film „ Ein Haufen Liebe“ selbst vermarktet und tourt seit über einem Jahr quer durch Deutschland. So konnte er etwa 70 mal in unterschiedlichsten Kinos laufen, bei der Hälfte der Vorstellungen war Alina selbst dabei. Sie wollte nicht nur über den Film in Kontakt mit dem Publikum treten, sondern im direkten Austausch erfahren, was die ZuschauerInnen über ihren Film sagen, fragen und denken. Denn am Ende gehören auch die RezipientInnen zum Kollektiv, das es ermöglicht, Dokumentarfilme zu machen.
Eine dokumentarische Auseinandersetzung braucht Zeit, oftmals Jahre. Sie erfordert Selbstreflektion, ein Beobachten des eigenen Beobachtens. Dem Fremden den Raum zu geben, sich selbst zu erzählen – das ist viel Arbeit, doch an diesem Wochenende hat es sich nicht danach angefühlt.
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