Essen, 13. Mai – Auch im Mai 2014 stellte sich die Lichtburg Essen ganz in ihre Tradition als Premierenkino. Den roten Teppich säumten Schaulustige, Autogrammjäger und Journalisten in Erwartung auf die Crew des Berlinale-Erfolgs „Zeit der Kannibalen“. Devid Striesow, bekannt aus Filmen wie „Fraktus“ und „Blaubeerblau“, die ausgezeichnete Film- und Theaterschauspielerin Katharina Schüttler und Regisseur Johannes Naber, der bereits mit „Der Albaner“ für Furore gesorgt hatte, schritten unter Blitzlichtgewitter in die Lichtburg, ließen es sich aber nicht nehmen, Autogramme und Händeschütteln zu verteilen.
So offen und nah sich die beiden Hauptdarsteller den Essenern gegenüber zeigten, so unnahbar, zynisch, ja geradezu verdorben mimen sie die Protagonisten in Nabers Drama. Ganz im Sinne eines Kammerspiels gehalten malt der Regisseur meist plakativ und doch feinsinnig das groteske Bild menschenverachtender, profitgeiler Kapitalisten und schert sich dabei nicht um Political Correctnes. Immer wieder zog das Publikum scharf die Luft ein, wenn ein Witz ganz arg bitterböse ausfiel, doch nahm es dem Film dies nicht weiter übel. Im Gegenteil: Die schonungslos durchgezogene Bösartigkeit begeisterte und erhielt großen Applaus.
Produzentin Milena Maitz gab im anschließenden Publikumsgespräch zu, dass sie zu Beginn des Projekts vor immerhin 10 Jahren befürchtete, das Thema könne an Popularität verlieren. Doch der Drehbuchautor Stefan Weigl setzte optimistisch auf weitere Wirtschaftskrisen und sollte recht behalten. Für den „schlimmsten“ Fall, dass der Kapitalismus in der Entstehungszeit des Films abgeschafft worden wäre, hätte „Zeit der Kannibalen“ dann noch immer als Historienfilm durchgehen können, witzelte Dewid Striesow.
Der Dreh selbst gestaltete sich tatsächlich sehr unterhaltsam, was dem Drehort Köln und der rheinischen Frohnatur geschuldet war. Im völligen Unbewusstsein, was die Kölner und ihre fünfte Jahreszeit betrifft, hatte Naber für die Karnevalszeit Dreharbeiten angesetzt und sich anschließend gewundert, dass ein Assistent zum Kaffeeholen plötzlich und spontan für zehn Stunden verschwand. Der Rest der Crew war vollkostümiert aus Protest, dass sie dem närrischen Treiben nicht nachgehen konnten, zur Arbeit erschienen und blieb es auch den gesamten Tag. Dies kam ihm schon etwas schräg vor, gab Naber zu. Doch nicht nur unterhaltsam, sondern auch innovativ war der Filmdreh, wie Katharina Schüttler erzählte. Der Blick aus dem Fenster des Hauptspielortes, dem Hotelzimmer, bot statt Hochhäusern patinierte Umzugskartons. Sowohl sie als auch Schauspielpartner Devid Striesow seien von Anfang an überzeugt gewesen von diesem reduzierten, minimalistischen Konzept. Sie haben das etwas trashig anmutende Set zuletzt als solches nicht mehr bemerkt. Allerdings nicht alle waren während der Produktion überzeugt von diesem Konzept. Ob dies nicht zu billig wirke, lautete der besorgte Einwand. Regisseur Naber findet derartige Bedenken schade. Noch immer sei Abstraktion kein Mittel im deutschen Fernsehen, wodurch jedoch große Chancen vergeben würden. Und forderte: „Mehr Pappkartons!“
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