Das Licht in der Volksbühne Köln wird gedimmt, im Saal kehrt Stille ein. Im Rahmen der lit.Cologne sitzt Mithu Sanyal am 9. März auf der Bühne, in der Hand ihr neues Buch. Das dünne Hardcover mit rotem Einschlag ist ein Werk über Emily Brontë, welches den Auftakt der neuen Reihe „Bücher meines Lebens“ des Kiepenheuer & Witsch Verlags bildet, herausgegeben von Volker Weidermann. Auf dem kleinen Beistelltisch neben der Autorin stapeln sich mindestens sieben verschiedene Ausgaben von Brontës Klassikers „Sturmhöhe“. Sobald Sanyal zu sprechen beginnt, wird deutlich, dass sie für Brontë brennt. Mit leuchtenden Augen erzählt sie, dieses Buch habe sie seit ihrer frühen Jugend begleitet, habe ihr im Laufe ihres Lebens zur Seite gestanden – sei es beim Sex, im Urlaub oder während einer schmerzhaften Trennung. Das Buch habe sie immer bestärkt in ihrem revolutionären Denken und Handeln. Mit jeder Ausgabe, mit jedem Lesen, habe sie den Text neu entdeckt, und jedes Mal habe ihr Emily mit ihrem zu eigenen Lebzeiten als gefährlich geltenden Buch neue Kraft, neue Weisheiten bieten können.
Nicht nur mit Emily, sondern auch mit den anderen Brontë-Geschwistern setzt sich die Schriftstellerin in ihrem Buch „Mithu Sanyal über Emily Brontë“ auseinander. Sie betrachtet besonders die drei ebenfalls schreibenden Brontës – Charlotte, Anne und Branwell – und deren Werke. Weshalb waren Bücher wie „Jane Eyre“ von Charlotte Brontë weitaus populärer? Weshalb löste das für die damalige Zeit so radikale „Wuthering Heights“ solch eine gesellschaftliche Entrüstung aus? Und wie kann ein so alter Roman noch heute hochaktuell sein? Sanyal bricht den von vielen als unfraulich abgestempelten Roman von Emily Brontë auf, beobachtet, analysiert, fantasiert, aus bisher unentdeckten Perspektiven und lässt somit die Leser:innen „Sturmhöhe“ ganz neu erleben.
Als Tochter einer polnischen Mutter und eines indischen Vaters beschreibt Sanyal Emily Brontës „Sturmhöhe“ als ihre erste bewusste Erfahrung mit Rassismus in der Literatur – und Heathcliff als ihren ersten literarischen Verbündeten, gar Helden, der als schwarz deskribiert wird. Das Publikum hört der Autorin gebannt zu, wie sie mit lockerer, humorvoller Art erzählt, der Roman könne für sie als postmigrantische Literatur gelesen werden kann. Mit ansteckender Begeisterung zieht Sanyal Querverbindungen, von dem 1847 erschienenen Werk zu zeitgenössischer Literatur. Dröselt dabei „Wuthering Heights“ schonungslos auf, positioniert sich zu Thesen anderer Literaturwissenschaftler:innen und lässt dabei von Inzest über Geister bis hin zur Behauptung, Emily müsse ein Mann gewesen sein, da dieser Roman keinesfalls von einer Frau stammen könne, nichts aus.
Die 1971 geborenen Schriftstellerin, Kulturwissenschaftlerin und Journalistin ist bereits bekannt durch frühere Werke, unter anderem das Sachbuch „Vulva. Das unsichtbare Geschlecht“ sowie ihr Debütroman „Identitti“, welcher mit dem Literaturpreis Ruhr und dem Ernst-Bloch-Preis 2021 prämiert wurde. Am 16. Mai ist sie mit ihrem aktuellen Werk „Mithu Sanyal über Emily Brontë“ auf der Bühne des Ruhrfestspielhauses zu sehen, im Gespräch mit dem Literaturkritiker und Moderator Denis Scheck. An diesem Abend dreht sich alles darum, wie ein Roman, der vor 170 Jahren verfasst wurde, noch heute Resonanz findet und dabei sogar Antworten auf Fragen zu Gender, Race und Class bieten kann. Eine Veranstaltung im Rahmen der Ruhrfestspiele.
Mithu Sanyal im Gespräch mit Denis Scheck | Di 16.5. 20 Uhr | Ruhrfestspielhaus Kleines Haus | www.ruhrfestspiele.de
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