Herrschaft durchdringt alle Blicke auf den Anderen. Als die Khoikhoi Swatche Baartmann als lebendiges Ausstellungsstück nach Europa gebracht wurde, durchschnitten sie neugierige Blicke. Als „Hottentotten-Venus“ wurde Baartman sowohl als wissenschaftlicher Fall als auch als exotisches Sexual-Objekt beäugt. Selbst nach ihrem Tod blieb sie eine Attraktion: Ihr Skelett, ihre Genitalien wurden aufbewahrt und in einem Pariser Museum ausgestellt. Der koloniale Blick hat sie überlebt.
Wo soll man also anfangen, um in diesem Dickicht aus Rassismus, Sexismus und gnadenloser Ausbeutung den Menschen Sawtche Baartman herauszulösen? Dort wo die Herrschaft mit anderen Mitteln fortgesetzt werden kann, dort wo der Blick herrscht. Im Theater. Daher lässt Regisseur Martin Ambara seine AkteurInnen Spiegel aufstellen. Wer sieht hier wen? Und vor allem: was? Das Publikum täuscht sich. „Ich bin eine andere“, wiederholen die drei Darstellerinnen Armelle Charlie Ntodouah Etongo, Hermine Eliane Yollo Mingele und Doris Christiane Dzoyem Meli. Sie sind eben nicht Sawtche Baartman. Oder doch, wie sie später wieder behaupten? Schließlich steht der Spiegel genau vor den Publikumsreihen. Sollen sie sich doch erst mal selber anblicken.
„Sawtche Baartman: Une histoire. Une vie“ heißt das Stück des Othni-Theaterlaborgründers Martin Ambara. Es rückt an diesem Abend ein traumatisches Stück Kolonialgeschichte ins Gedächtnis und erteilt dem europäischen Theaterrepertoire eine radikale Absage: von der Antike, über Shakespeare bis zur Postmoderne. Denn was erzählt dieser Kanon schon vom Horror des Kolonialismus? Offenbar nicht allzuviel.
„Das ist kein Theater“ – eine der Ansagen, die immer wieder durch den Theatersaal raunen. Masken, Distanz, Mimesis, Katharsis – allesamt Kategorien, die an diesem Abend provokant in der ästhetischen Mülltone landen. Erwähnt wird ein Angebot des Goethe-Instituts, eine kamerunische Version von Strawinkys „Le Sacre du Printemps“ zu finanzieren. Wohl eine der makabren Witze, die der Postkolonialismus schreibt. Stattdessen geht es darum, einen Raum des Erzählens zu finden, wie ein Meta-Kommentar verrät. Und Martin Ambara gestaltet diesen Raum mit Tanz und Trommelmusik, mit Animationen und Archivaufnahmen auf der Leinwand.
Hinzu kommen Textloops („Eine Frau ist nicht geschaffen, um einen Orgasmus zu bekommen. Eine Frau ist dafür geschaffen, um Kinder zu kriegen. Unmengen von Kindern.“) oder Original-Zitate westlicher DenkerInnen über Sawtchee Baartman, welche den sexistisch-rassistischen Komplex verbürgen: die „Hottentotten Venus“ als Verkörperung männlich-weißer Fantasien.
Um die Provokation mit diesem Blick auf die Spitze zu treiben, lässt Ambara seine AkteurInnen wie Affen hüpfen und ächzen. Bananen fliegen durch den Saal. Das ist nicht angenehm zu sehen, aber diese Inszenierung verkündet mit Krach und Wut: Glotzt nicht so kolonialistisch! Danach wird es endlich ruhiger. Und die afrikanischen Pflanzen, die zu Beginn des Abends an alle ZuschauerInnen verteilt wurden, werden am Ende auf der Bühne gestapelt. Wie eine nachträgliche, würdevolle Beerdigung für diese Sawtche Baartman. Doch ihre Ruhe findet sie erst, wenn der koloniale Blick verschwindet.
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