Das Theater Dortmund ist ein Labor. Es dürfte kaum ein Stadttheater geben, das derart besessen an der Frage herumbastelt, wie Theater und Digitalisierung zusammengehen. Und zwar nicht nur in der Weise, dass Licht und Ton sich der neuen Technik bedienen. Produktionen wie „Das Fest“, „Die Borderline Prozession“ oder zuletzt „hell ein Augenblick“ suchten nach Wegen, wie digitale Praktiken als Ausdruckmittel der Kunst fungieren können und wie sich verändernden Wahrnehmungsweisen auch ästhetisch Rechnung getragen werden kann. Der Dortmunder Schauspiel-Intendant Kay Voges stieß da offensichtlich immer wieder an Grenzen. Deshalb hat er jetzt in den Ruhrnachrichten eine Akademie für Digitalität und Darstellende Kunst ins Gespräch gebracht, die als Ort der Fortbildung und der Forschung für Theaterangestellte dienen soll. Zum Beispiel an der Herstellung von Masken mittels 3D-Drucker, dem Einsatz von Hologrammen oder der Umwandlung von Livemusik in Licht, Bühnenbild und Kostüm. „Wir leben“, so Voges, „im digitalen Zeitalter und unsere Sehgewohnheit, unser Menschenbild, unsere Lebensgewohnheit, unser Gesellschaftsbild haben sich extrem dadurch gewandelt.“ Sollten die Bühnen weitermachen wie bisher und sich dem digitalen Zeitalter verweigern, dann werde das Theater irgendwann eine antiquierte Kunstform sein.
Doch es geht nicht nur um Sehgewohnheiten. Voges legt den Finger auf eine viel größere Wunde. Das Theater hat viel zu lange über Digitalisierung als Bedrohungsszenarium zum Beispiel für das Urheberrecht diskutiert. Und auch die Digitalisierung als Transmissionsriemen von Kommunikation oder Marketing sind nur selbstverständliche Tools. Voges geht es offensichtlich darum, dass das Theater sich als Produktionsbetrieb 4.0 begreift, der über eine digitale Forschungs- und Programmierungsabteilung verfügt. Und dessen Mitarbeiter selbstverständlich über aktuelles digitales Knowhow verfügen oder es sich in der Akademie draufschaffen. Die Folgen für Struktur und Organisation des Theater wären nicht zu unterschätzen.
Dass er im Interview auf die technischen Abteilungen einschlägt, die 20 Jahre zurück seien, ist allerdings ungerecht. Vermutlich sind gerade diese Gewerke weit digitalisierungsaffiner als Verwaltung und Kunst (sofern der Regisseur nicht gerade Voges heißt). Sie reagieren auf die technologische Entwicklung, aber auch auf die Forderungen der Kunst. Wenn von dort nichts kommt….Theater lebt schon immer von einer Ambivalenz: Einerseits sich als Hort der Unmittelbarkeit zu präsentieren und hinter den Kulissen modernste technische Mittel einzusetzen. Die angeregte Akademie, über die Voges offensichtlich bereits Gespräche mit Stadt, Land und Bund führt, soll diesen Widerspruch glätten helfen. Standort soll natürlich Dortmund sein: „Die Mikrotechnik im Technologiezentrum ist deutschlandweit führend“, so Voges. Im Februar 2018 jedenfalls machen die Dortmunder einen ersten virtuellen Spatenstich und halten eine Konferenz für Digitalität und Theater ab.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Bakterien im Spa
„Ein Volksfeind“ am Theater Dortmund – Prolog 02/24
Unendliche Möglichkeiten
„I wanna be loved by you“ am Schauspielhaus Dortmund – Prolog 10/23
Analoge Zukunft?
Die Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund eröffnet ihren Neubau – Theater in NRW 10/23
„Dass wir vor lauter Geldfetisch nicht mehr wissen, wo oben und unten ist“
Regisseur Kieran Joel über „Das Kapital: Das Musical“ am Theater Dortmund – Premiere 09/23
Bewegte und bewegende Formen
20 Jahre Ballett in Dortmund – Prolog 08/23
Wodka gegen die Wiederkehr des Gleichen
Anton Tschechows „Onkel Wanja“ am Theater Dortmund – Auftritt 05/23
Show und Bedeutung
„Nixon in China“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 03/23
Lug und Trug und göttliche Rettung
„Onkel Wanja“, „Orestes“ und „Dantons Tod“ – Prolog 03/23
Tanz mit einer toxischen Zwiebel
„Peer Gynt“ am Opernhaus Dortmund – Auftritt 03/23
Liebe in Zeiten des NSU-Terrors
„Das Herz liegt begraben“ im Theater Dortmund – Bühne 09/22
„Die Urwut ist ein Motor des Menschen“
Jessica Weisskirchen über ihre Inszenierung des „Woyzeck“ – Premiere 09/22
„Aufklärerisch mit großem Unterhaltungswert“
Regisseur Peter Konwitschny über seine Arbeit am „Ring des Nibelungen“ – Interview 07/22
Endspurt für Mammut-Projekt
Beethovenhalle kurz vor der Fertigstellung – Theater in NRW 11/24
Jünger und weiblicher
Neue Leitungsstruktur am Mülheimer Theater an der Ruhr – Theater in NRW 10/24
Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24
Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24
Mit allen Wassern gewaschen
Franziska Werner wird neue Leiterin des Festivals Impulse – Theater in NRW 07/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Demokratie schützen
Das Bündnis Die Vielen ruft zu neuen Aktionen auf – Theater in NRW 05/24
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
Neue Arbeitszeitregelungen
Theater und Gewerkschaften verhandeln Tarifvertrag – Theater in NRW 03/24
„Der Tod ist immer theatral“
Theatermacher Rolf Dennemann ist gestorben – Theater in NRW 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Neues Publikum
Land NRW verstetigt das Förderprogramm Neue Wege – Theater in NRW 11/23