Er entfacht Begeisterung und wüste Buh-Stürme, er polarisiert und führt zu neuen Erkenntnissen, er übermalt alte Bilder und reißt überraschende Horizonte auf: Peter Konwitschny hat wie nur wenige andere Regisseure die Oper in den letzten dreißig Jahren geprägt und den Begriff „Regietheater“ mit Leben gefüllt. In den nächsten Jahren nimmt er sich an der Oper Dortmund zum ersten Mal den ganzen „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner vor.
trailer: Herr Konwitschny, Sie sind in den Kosmos Wagner zum ersten Mal in München mit „Parsifal“ eingedrungen, haben dann in Dresden mit „Tannhäuser“ und in Hamburg mit „Lohengrin“ von vielen als maßstäblich gepriesene Inszenierungen erarbeitet. Warum gehen Sie mit dem „Ring“ an ein mittelgroßes Haus wie Dortmund?
Peter Konwitschny: Das liegt am Intendanten der Oper Dortmund, Heribert Germeshausen. Mit ihm habe ich in seiner Zeit in Heidelberg einen sehr guten Kontakt geknüpft. So hat er mich bewogen, den „Ring“ in Dortmund zu machen.
Sie sind die Möglichkeiten großer Häuser gewohnt. Reichen Ihnen denn die Arbeitsmöglichkeiten in Dortmund?
Ich habe hier Daniel François Esprit Aubers „La Muette de Portici“ inszeniert und mich sehr wohl gefühlt. Die Gewerke im Haus, aber auch die Besetzung sind für mich eine Wonne. Hier kann ich mein Credo umsetzen: Theater soll in erster Linie uns betreffen und nicht nur eine Geschichte erzählen oder sich in schönen Klängen erschöpfen. Heribert Germeshausen versteht viel von Theater und weiß, was er will. Für uns ist Theater aufklärerische Arbeit mit großem Unterhaltungswert.
Sie machen zum ersten Mal den gesamten „Ring“. Bisher hatten Sie von den vier Werken nur „Götterdämmerung“ 2000 in Stuttgart inszeniert. Wie hat sich Ihre Einstellung zu Wagner im Lauf der Zeit verändert?
Ich hatte das Glück, nach meinem Opernregiestudium in Berlin ab 1970 zehn Jahre am Berliner Ensemble zu arbeiten. Dort habe ich Theorie und Praxis von Bertolt Brecht kennen- und den Zusammenhang des Politischen und des Ästhetischen schätzen gelernt. Von meiner Kindheit her hatte ich das Vorurteil, Wagner sei langweilig. Das hat sich geändert, als ich in München „Parsifal“ und in Hamburg mit Ingo Metzmacher „Die Meistersinger von Nürnberg“ gemacht habe.
Wie stehen Sie zu dem Antisemiten Wagner?
In meiner Arbeit habe ich erkannt, dass keinTon bei Wagner antisemitisch ist, wohl aber in seinenSchriftenviel Antisemitismus zu finden ist – wie übrigens auch bei vielen seiner Zeitgenossen; selbst bei Karl Marx gibt es antisemitische Momente. Aber die Werke halte ich für frei von Antisemitismus – im Gegenteil, er nimmt in ihnen Partei für die Unteren. Der „Ring“ beginnt mit Wotan, der der Weltesche, also der Natur, Gewalt antut: In den Speer, den er aus dem Holz des Baumes schnitzt, graviert er seine Vorstellung eines Systems ein. Lange wurde das nicht begriffen, aber es ist der Ursprung des Endes. In Dortmund inszeniere ich in der „Walküre“ diesen Vorgang vor der Musik – denn Wagner nimmt in seinem Text darauf Bezug.
Es geht Ihnen im „Ring“ also um das Verhältnis von Natur und Mensch, von Natur und Macht?
Das sehe ich als äußerst wichtig an, heute, wo die Welt kurz vor dem Umkippen steht. Darauf basiert das Werk Wotans, und daher sagt ihm die Urmutter Erda das Ende voraus. Ich finde bei Wagner aber auch viel einkomponierten Humor. Das herauszuarbeiten, ist für mich ebenso wichtig wie die Frage nach Macht und Verbrechen. Der „Ring“ trägt auch die komische Seite des Menschseins in sich und ist daher ein großartig unterhaltendes Vergnügen.
Ist der Dortmunder „Ring“ so etwas wie ein Resümee Ihrer Arbeit mit Wagner?
Nein, aber es fließen meine gesamten Erfahrungen mit Wagner ein. Ich habe, wenn ich den „Ring“ abgeschlossen habe, alle Werke Wagners mit Ausnahme der drei Frühwerke inszeniert. Und dabei festgestellt, dass Wagner ein unglaublicher, großartiger Theatermensch gewesen ist. Bei ihm habe ich auch viel für Mozart und Verdi gelernt. Wir werden in Dortmund den „Ring“ vom „roten Faden“ befreien, eine Idee, die Klaus Zehelein schon in Stuttgart hatte. Wir betrachten die vier Opern jede für sich als eigenständiges Werk, das alleine für sich stehen kann. Zehelein hat die vier Werke durch vier verschiedene Regieteams inszenieren lassen, damit der rote Faden nicht durch die Hintertür wieder hereinzieht. In Dortmund ist jetzt ein Regisseur am Werk mit verschiedenen Ausstattungsteams. Für mich ist es erfreulich, mit vier Handschriften großartiger Bühnenbildner arbeiten zu können. Natürlich wird es Nahtstellen geben, die aber eher durch die Musik, etwa die Leitmotive, hergestellt werden. Wir ignorieren sie nicht, aber wir stellen sie in einen anderen Kontext.
Ein Ausblick: Wird die Arbeit mit Wagner für Sie weitergehen?
Eher nicht. Jetzt freue ich mich erst einmal auf „Rheingold“ und „Siegfried“. Ich schrecke davor zurück, Stücke, die ich bereits inszeniert habe, noch einmal und dann ganz anders zu machen. Mein Bezug zu den Werken geht so tief, dass ich da nicht einfach eine andere Oberfläche draufsetzen kann. Meine Arbeit ist eine Lebensaufgabe, in der sich unsere Existenz spiegelt. Ich beginne oft drei Jahre vor einer Premiere mit der Arbeit an den Stücken, drehe jede Note, jedes Wort um. Wenn das einmal so tief gegangen ist, kann natürlich ein zufälliges Ereignis dazu führen, das eine oder andere stärker zu betonen. Aber grundsätzlich werde ich ein Werk nicht noch einmal anders machen.
Wie wäre es denn mit Konwitschny und Bayreuth gewesen? Sie haben nie bei den Festspielen inszeniert.
Es wäre gelogen, würde ich sagen, das interessiert mich nicht. Ich habe schon Angebote bekommen, zum Beispiel den „Lohengrin“, den ich für Hamburg erarbeitet habe. Aber ich hätte eine Inszenierung für Bayreuth nicht einfach anders machen können. Bayreuth wollte aber alles neu haben. Hier in Dortmund wird es mit der „Götterdämmerung“ ähnlich: Ich werde sie nicht wesentlich anders als in Stuttgart inszenieren.
Wagner-Kosmos IV: Religion | 18.-21.5.2023 | Theater Dortmund | 0231 502 72 22
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