Die Zukunft ist jung und weiblich. Sie steht mit rotem Kleid an der Rampe und stemmt die Fäuste in die Hüften. Ein herausfordernder Blick, während die Motorik der Musik von John Adams erlischt. Aus dieser Szene erklärt sich, was Martin G. Berger in seiner Inszenierung von „Nixon in China“ in Dortmund vorher mit dem Eindruck bunter Belanglosigkeit vorgeführt hat. Belanglos heißt allerdings nicht bedeutungslos: Rückwärts gelesen gewinnt die Show ihren Sinn.
Das Mädchen am Ende ist das Gegenbild zu der jungen Frau, die am Beginn der Oper den Staatsbesuch des US-Präsidenten Richard Nixon 1972 in China am Fernseher verfolgt. Vincent Stefans verschwommene Videobilder überfluten die Bühne von Sarah-Katharina Karl: Ungefähre Eindrücke eines historischen Ereignisses, das in der Erinnerung nach 50 Jahren verblasst ist. Gleichwohl war es der Beginn einer Entwicklung, die China zur globalen Großmacht und Konkurrent der USA geführt hat.
Berger sieht Adams Oper nicht wie Tomo Sugao 2018 in Würzburg als beziehungsreiche Polit-Parabel. Er will den Blick auf die unterdrückten Frauen richten, auf von Männern gemachte Politik und Ideologie. Sein Mittel der Kritik ist die Übersteigerung in surreal geronnenen Kitsch, in eine überdrehte Show. Wenn im zweiten Akt Nixons Ehefrau Pat – nicht viel mehr als eine naive, amerikanische höhere Tochter – Fabrik und Kommune, Museum und Ballett besucht, überflutet die Bühne ein Meer clownesker Gestalten in lindgrün, schweinchenrosa und himmelblau (Kostüme: Alexander Djurkov Hotter). Im dritten Akt, der eigentlich nur noch eine Meditation über Gedankenfetzen und Aphorismen ist, flanieren bestimmende Gestalten der letzten 50 Jahre an der Tafelrunde der Politik-Senioren vorbei: Marx Arm in Arm mit dem Papst, Margaret Thatcher, Honi und Margot, der alte Revolutionär Fidel Castro. Und Degyun Jeong als Chou En-lai stellt die entscheidende Frage, „wieviel von dem, was wir taten, gut war“.
Der Opernchor, ergänzt durch das Senior*innentanztheater des Ballett Dortmund trägt die turbulente Inszenierung fabelhaft mit. Die Sänger-Darsteller agieren mit Verstärkung und oft ziemlich unter Spannung: Petr Sokolov (Nixon), Irina Simmes (Pat Nixon), Alfred Kim (Mao Tse-tung), Hye Jung Lee (Maos Frau Chiang Ch’ing), Morgan Moody (Henry Kissinger). Olivia Lee-Gundermann trimmt das Orchester meist erfolgreich auf rhythmische Präzision für Adams minimalistische „patterns“. Mit den Tiefenschichten hat die Dirigentin ihre Probleme: Statt plastischer Räumlichkeit hört man Verschmelzung – ein breiiger Impressionismus, in dem Konturen verschwimmen.
Nixon in China | 18., 29.3 19.30 Uhr | Theater Dortmund | www.theaterdo.de
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