Bereits seit über 20 Jahren wirft das Festival blicke Facetten des Ruhrgebiets und seiner Filmemacher auf die Leinwand – narrativ, experimentell, kurz, lang und gegen jede Regel des Kommerzzwangs. In dieser langen Festivalgeschichte hat sich ein Repertoire an bewegten Bildern angesammelt, das nicht in Archiven oder in der Versenkung sein Dasein fristen sollte. Um dem entgegenzuwirken, ist blicke in diesem Jahr fleißig unterwegs gewesen. Im Juli unterhielten Kurzfilme des Festivals bei Bochum Total auf der trailer-wortschatzbühne. Im August stellte blicke sein Potenzial als Beobachter von Momenten und Wandlungen der Region unter Beweis und zeigte bei der Zusammenarbeit der Reihe „Interventionen – Stadt für alle“ und des Endstation Open.Air kritische Filmbeiträge über das Ruhrgebiet. Im Herbst ist blicke weiter auf Tour in Bochum, Dortmund, Essen und Hagen, bis dass sich das Festival zwischen 21. und 24.11. zum 21. Mal jährt und vier Tage lang Filmemacher des Ruhrgebiets feiert.
Nun machte blicke in dem alten Katholikentagsbahnhof Rotunde Halt, einem der Bochumer Hotspots für Off-Kultur. Passend zur Location hatte die Festivalleiterin Gabi Hinderberger ein buntes Programm zum Thema Musik zusammengestellt. Und so entführten uns Filmbeiträge vergangener Festivaljahre in eine Welt des Bekannten und Skurrilen: Zwei Jahre vor dem Tod seines Idols brachte Karl Tebbe dank Stop-Motion Animation mit „Karaoke Show“ eine Michael Jackson ähnelnde Tanzeinlage zum Filmfestival des Ruhrgebiets. Etwas befremdlich mochte dieser mehrfach ausgezeichnete Kurzfilm für an ausgefeilte Musikclips gewohnte Zuschauer daherkommen, doch näherte sich der darauf folgende, eher konventionelle Beitrag „WOWOW“ von Elena Schneider und Annika Janssen mit seinen schnellen, auf die Musik abgestimmten Schnitten wieder den Sehgewohnheiten an. Der einzig narrative Beitrag des Abends, „Rubber Soul“ von Lennert Selle, weckte Erinnerung an eine Zeit, als Musik nicht überall und stets zur Verfügung stand, als Musikzeitschriften und einschlägige Läden die einzigen Informationsquellen für Neues waren und Kassetten noch mit dem gleichzeitigen Drücken von Play und Record überspielt wurden. Damals... Denisa Komarkovas Kurzfilm „Die Trompetenklänge aus dem Brombeerenstrauch“ riss mit einem kurzen, wilden Mix aus Märchenausschnitten, Blasmusik und einer guten Portion Metal aus der Nostalgie heraus, bis er von dem längsten aber gewiss nicht langatmigen Beitrag „Xaxapoya“ abgelöst wurde. Christina von Greves Experimentalfilm ließ abstrakte Bilder in ein Farbenspiel aufblitzen und hineinfließen und verströmte hypnotische Wirkung.
Mit den letzten Beiträgen entließ Gabi Hinterberger die Besucher der Rotunde wieder in die nüchterne Realität. Vielleicht auch nicht ganz so nüchtern. In „Liebe deine Stadt“ philosophierten zwei Kölner Besucher der Juicy Beats über den Charme des Ruhrgebiets, über die Generationen vor uns, die mit harter Arbeit ermöglichten, dass wir feiern können. Schmeichelhaft, wenn auch ein wenig verklärt. „Ganja“ von Martin Brand blieb in Dortmund, führte in das Innere einer Westender Wohnung und das Innenleben von vier Jungs, die improvisiert rappten und dem Titel des Kurzfilms alle Ehre machten.
Bedauerlich, dass die Rotunde an diesem Abend eher spärlich besucht war. Doch besteht die wahrscheinliche Möglichkeit, dass sich ein regelmäßiger, offener Kurzfilmabend etabliert und vielleicht in einer etwas lockereren Runde immer mal wieder Einblicke in das filmische Schaffen des Ruhrgebiets gewährt.
Weitere Termine unter: blicke unterwegs
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