Dr. Benjamin Pohl (36) ist Senior Projektmanager bei dem Think tank adelphi und arbeitet zu den Schnittstellen von globalem Umweltwandel mit Außen-, Sicherheits-, und Entwicklungspolitik.
trailer: Herr Pohl, 2014 veröffentlichte der Berliner Think tank adelphi die Studie „The Rise of Hydro-Diplomacy“. Darin geht es um grenzüberschreitende Wasservorkommen und Flussläufe und wie eine Wasserdiplomatie Konflikte vermeiden kann. Was genau ist das Problem bei grenzüberschreitenden Wasservorkommen?
Benjamin Pohl: Meist wollen mehrere Anrainer das Wasser nutzen, und häufig sind diese Ansprüche zum Teil nicht kompatibel. Die Planung der Wassernutzung verteilt sich über verschiedene Regierungen, die oft davon ausgehen, dass sie souverän sind und ihre Entscheidungen nicht von denen anderer abhängig machen müssen. Das wird vor allem dann schwierig, wenn das Wasser im Oberlauf stark genutzt wird und deshalb flussabwärts weniger oder verschmutztes Wasser zur Verfügung steht. Aber auch, wenn das Wasser zum falschen Zeitpunkt abfließt. Klassisches Beispiel ist Zentralasien: Die Oberlieger Tadschikistan und Kirgistan wollen die Wasserkraft im kalten Winter für Energie zum Heizen nutzen. Die Unterlieger in trockenen, heißen Gebieten, allen voran Usbekistan, brauchen den Wasserabfluss aber im Sommer für Bewässerung. So ein Interessensgegensatz kann bei einem Fokus allein auf die eigenen Ansprüche in feindseliges Verhalten umschlagen.
Was genau ist Wasserdiplomatie und wie kann diese sinnvoll eingesetzt werden?
Dr. Benjamin Pohl (36) ist Senior Projektmanager bei dem Think tank adelphi und arbeitet zu den Schnittstellen von globalem Umweltwandel mit Außen-, Sicherheits-, und Entwicklungspolitik.
Bei Wasserdiplomatie geht es um den Interessensausgleich verschiedener Nutzer und Anrainer durch einen Verhandlungsprozess. In den 90er Jahren wurde das Problem möglicher Wasserkriege intensiv diskutiert. Die Forschungsergebnisse besagten allerdings, dass es bisher keine reinen „Wasserkriege“ gegeben hat. Gleichzeitig wurde aber die Wichtigkeit von Institutionen betont, die frühzeitig einen Interessensausgleich herbeiführen können. Die Entwicklungszusammenarbeit hat anschließend den Auf- und Ausbau solcher Institutionen befördert, allerdings auf eher unpolitische Weise: Man wollte diese Fragen bewusst depolitisieren und auf technischer Ebene allseits gewinnbringende Lösungen identifizieren um damit Kooperation zu stärken. Wasserfragen sind in vielen Flussgebieten aber sehr politisch, zum einen aufgrund ihrer inhärenten Verknüpfung mit anderen Sektoren wie Energiegewinnung und Landwirtschaft, zum anderen weil sie oft mit Fragen politischer Identität und Macht verknüpft sind oder werden. Deshalb könnte technische Zusammenarbeit in vielen Fällen von diplomatischer und politischer Begleitung profitieren, und Außenpolitik kann hier eine wichtige friedenspolitische Rolle spielen. Wir wollten in der Studie zeigen, wie man solche Prozesse von außen anstoßen und zu konstruktiven Ergebnissen bringen kann. Man darf aber dabei nicht vergessen, dass die primäre Verantwortung für Zusammenarbeit immer bei den beteiligten Regierungen selbst liegt.
Wie werden sich die Konflikte ums Wasser in der Zukunft verschärfen, und ist es möglich dass durch Klimawandel und Bevölkerungswachstum „Wasserkriege“ tatsächlich stattfinden werden?
Wandel und wachsende Knappheit verschärfen die Risiken. Allerdings wirkt Klimawandel sehr indirekt auf politische Resultate wie bewaffnete Konflikte – dazwischen stehen viele Entscheidungen, in denen Menschen eine Wahl haben. Ich gehe nicht davon aus, dass es zu Wasserkriegen im Sinne eines zwischenstaatlichen, direkten Krieges kommen wird. Auf substaatlicher Ebene kann es aber zu gewaltsamen Konflikten kommen, die dann auch ein Internationalisierungspotential haben. Die Aussage, dass es bisher keine reinen Wasserkriege gegeben hat, ist zwar beruhigend, bedeutet aber nicht, dass Wasser keine Rolle bei Konflikten gespielt hat oder nicht konfliktverschärfend wirken wird.
Wo gibt es derzeit das größte Konfliktpotential bzw. den größten Handlungsbedarf?
In Bezug auf die Wahrscheinlichkeit würde ich in erster Linie auf die Sahelzone und das Horn von Afrika verweisen, wo es aufgrund der sozio-ökonomischen Strukturen mit vielen umherziehenden Pastoralisten und eines viel geringer ausgeprägten staatlichen Gewaltmonopols sicherlich mehr bewaffnete Konflikte um Wasser gibt als anderswo. In Bezug auf die Konsequenzen für die globale Ordnung stechen insbesondere der Nahe Osten und die vom Himalaya gespeisten Flussgebiete hervor. Dort wird der Zugang zu Wasser nicht allein konfliktursächlich sein, ist aber Teil geopolitischer, ideologischer, und identitätsbezogener Konflikte, die oft aus innenpolitischen Gründen instrumentalisiert werden. Hier ist das globale Destabilisierungspotential, das sich nicht zuletzt an Konflikten um widersprüchliche Wassernutzungsansprüche entzünden kann, besonders groß. Gleichzeitig sind solche Konflikte dort auch plausibel.
Welche Schritte müssen auf dem Weg zu einer etablierten Wasserdiplomatie noch getan werden?
Was wir benötigen, ist Verantwortungsgefühl und politischen Willen zu systematischem Engagement, in den betroffenen Staaten aber auch seitens der internationalen Gemeinschaft. Dabei sollte der Fokus nicht allein auf denjenigen internationalen Flussgebieten liegen, in denen es gerade das größte Konfliktpotential gibt. Natürlich besteht bei akuten Spannungen Bedarf an Vermittlungsangeboten, aber es ist auch wichtig, präventiv bzw. nachsorgend zukünftige Auseinandersetzungen so systematisch wie möglich zu verhindern bzw. zu entschärfen. Gute Außenpolitik ist auch opportunistisch: Man muss die Chancen zu Vermittlung, Konfliktprävention und -entschärfung nutzen, wo sie sich bieten, oft jenseits öffentlicher Aufmerksamkeit. Das politische Kapital von Außenpolitik ist wie alle Ressourcen begrenzt und Erfolge sind oft viel leichter, wo Konflikte noch nicht die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit erreicht haben. Wenn Konflikte eskalieren, muss Außenpolitik natürlich auch handeln – dann ist Konfliktlösung aber oft viel schwerer.
Welche Risiken bringt Wasserdiplomatie mit sich? Was muss man als Wasserdiplomat beachten?
Die Strategieänderung, die wir empfohlen haben, bringt durchaus auch neue Risiken mit sich. Der ursprüngliche Versuch, Politik auszuklammern, hatte ja gute Gründe. Eine Einmischung in politische Fragen von außen kann die Konflikte auch verschärfen. Das mag oft unabsichtlich sein, aber die Motive der sich Einmischenden werden immer hinterfragt werden. Wenn sich Amerika beispielsweise für stärkere Kooperation am Mekong engagiert, was es tut, kann das vom Oberanrainer China als Eindämmungspolitik empfunden werden und Gegenstrategien zeitigen, die eine Konfliktlösung letztendlich erschweren, unabhängig von den amerikanischen Motiven. Insofern müssen Außenstehende immer auch abwägen, ob bei einer Einmischung der Gewinn die Risiken wert ist. Die Frage ist leichter zu beantworten, wenn man von allen Beteiligten um Unterstützung bei der Konfliktlösung gebeten wird, aber das ist gerade in strittigen und geopolitisch brisanten Gebieten eine hohe Hürde. Oft ist die Nachfrage nach einer neutralen Instanz nicht vorhanden oder zumindest nicht geteilt und die Staaten regeln diese Problematik lieber unter sich.
Welche Rolle kann Deutschland in einer globalen Wasserdiplomatie spielen?
Deutschland hat im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit im Bereich Wasser viel investiert und erreicht. In vielen Regionen der Welt genießt Deutschland in diesem Bereich daher großes Vertrauen. Gerade im Wasserbereich brauchen vertrauensbildende Prozesse oft viele Jahre, da die Planungsprozesse und Investitionen lang dauern und die geschaffene Infrastruktur auch sehr lange fortwirkt. Im Bereich Wasserdiplomatie bieten sich daher gute Chancen, den eigenen Anspruch und die Erwartungen seiner Partner an eine gewachsene außenpolitische Verantwortung Deutschlands wahrzunehmen und zu regionaler Stabilität und Prosperität beizutragen.
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