„Im Osten was Neues“ lautet das Motto der diesjährigen Ruhrfestspiele. Das ist eine ziemlich gewagte Spekulation. Ist die Anspielung auf Erich Maria Remarques berühmten Antikriegsroman nur ein weiterer Hinweis auf das Jahr 1912? Oder eine Verklärung der Ostens? Es ist profaner: Das Festival auf dem grünen Hügel in Recklinghausen steht diesmal im Zeichen der russischen Dramatik. Für Festivalleiter Frank Hoffmann ist die Zeit von Tschechow, Gorki und Bulgakow auch die Zeit einer großen Regieavantgarde von Stanislawski bis Meyerhold. Damals seien Methoden entwickelt worden, wie man Wirklichkeit, Konflikte und Figuren beschreibt: „In dieser Ästhetik sind wir bis heute gefangen“. Die ästhetische Revolution ging dabei der politischen Revolution voraus.
Im Großen Haus kommt es zu einem Widersehen mit Jürgen Goschs legendären Inszenierungen von „Onkel Wanja“ und „Die Möwe“; das Théâtre de Complicité zeigt seine Interpretation von Bulgakows „Der Meister und Margarita“, das Centraltheater Leipzig reist mit Tolstois „Krieg und Frieden“ an. Es sind vor allem die Klassiker, die Frank Hoffmann eingeladen hat; zwar weist der Festivalchef auf die 2011 verstorbene junge Autorin Anna Jablonskaja hin und auf die Modernität der älteren Texte, doch bei jüngerer Dramatik ist man nicht wirklich fündig geworden – sei es, dass die Qualität nicht genügte, sei es, dass sie nicht ins Festivalprogramm passte.
Seit Beginn seiner Intendanz hat Frank Hoffmann die Ruhrfestspiele von einem Zuschauerrekord zum nächsten geführt; dies ist ihm vor allem mit Großinszenierungen mit Filmstars, Highlights deutscher Bühnen, Uraufführungen, dem Fringeprogramm, sowie Lesungen und Kabarett gelungen; ein Programmmix, für den er immer wieder kritisiert wurde. Auch diesmal sind mit Cate Blanchett in einer „Groß und Klein“-Inszenierung und Patrice Chéreau in einer „Großinquisitor“-Performance zwei Zugpferde dabei. Entscheidender allerdings ist, dass das Festival die große Zahl von Gastspielen immer häufiger durch Koproduktion ersetzt. „Die Ruhrfestspiele sind dadurch auch ein kreativer Ort“, sagt Hoffmann; und natürlich sichert sich das Festival dadurch auch hochkarätige Aufführungen. Mit erstaunlicher Beharrlichkeit hat Hoffmann die Kontakte zu den großen Stadttheatern in Berlin, Frankfurt und Hamburger ausgebaut, die diesmal allein neun Produktionen beisteuern. Darunter sind zahlreiche Premieren und Uraufführungen, die zunächst in Recklinghausen herauskommen und dann erst an den Heimatbühnen gezeigt werden. Vor allem mit den Uraufführungen, in diesem Jahr von Autoren wie Kevin Rittberger, Wolfram Lotz/Martin Laberenz, Nico Helminger und sogar Dennis Kelly, haben sich die Ruhrfestspiele inzwischen Respekt verschafft. Der Erfolg bringt aber auch Probleme mit sich. Aufgrund der Zuschauernachfrage kommt in diesem Jahr mit dem Kuppelzelt ein weiterer Spielort dazu, in dem die 24 Produktionen des Fringefestivals gezeigt werden. Damit allerdings ist das Festival, so Frank Hoffmann, am Anschlag: „Wir sind an der oberen Grenze – und bleiben da auch hoffentlich“.
„Ruhrfestspiele Recklinghausen“ | 1.5.-16.6. | www.ruhrfestspiele.de
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