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„Cabaret“
Foto: Klaus Fröhlich

Am Vorabend der Nazis

29. November 2012

„Cabaret“ in Oberhausen – Theater Ruhr 12/12

Von der Decke hängen leuchtende Wortassoziationen zum Berlin der 1920er Jahre, aber auch zum Leben im Allgemeinen. Die Band swingt im Hintergrund: willkommen im Cabaret. Ende der 1920er liegt die Weltwirtschaftskrise noch schwer im Magen, das drohende Unheil des Nazi-Regimes bereits in der Luft. Da werden alle Augen fest zugekniffen und umso heftiger in die Nacht mit ihren Spelunken und Tanzsälen geschwärmt. Diesen bizarren Zeitgeist fing in den 1960er Jahren das Show-Trio Kander/Ebb/Masteroff in ihrem Broadway-Musical „Cabaret“ ein, das spätestens seit seiner Verfilmung in den 1970ern absoluten Kultstatus genießt und jetzt im Oberhausener Theater in der „kleinen Fassung“ zu sehen ist. Aber kann man den Showroom des Musicals auf die erlauchten und noch dazu notorisch unterfinanzierten Theaterbretter holen? Roland Spohr kann das.

Doch es ist nicht seineHauptdarstellerin, die an diesem Abend brilliert. Die Musical-Darstellerin Vera Bolten als Nachtclubsängerin Sally Bowles ist perfekt. Zugegeben. Auch ihr Gesang, ihr Tanz, ihr Timing. Genau das ist das Problem. Es fehlt ihr an Ecken und Kanten und so nimmt man ihr auch nicht die Narben ab, die sich eine wie Sally am Leben holt. Bolten kommt so weder an die große Film-Schwester Liza Minelli heran, noch schafft sie es, der Rolle eine eigene (Neu-)Interpretation mitzugeben und sich so vom Filmvergleich zu lösen. Auch das Liebespaar Sally und Cliff wirkt hölzern. Da wird sich nicht heiß geliebt, da wird Text gesprochen. Überzeugender sind da schon die Nebenfiguren. Allen voran Jürgen Sarkiss als Conferencier mit Elvis-Tolle und goldenem Showmasteranzug, der das Geschehen mit Witz und böser Zunge kommentiert. Zusammen mit den Kit-Kat-Girls wird ein herrliches Fest der Frivolitäten gefeiert, das den Filmvergleich nicht nötig hat. Der Paradesong „Money“ etwa wird einfach in einen Pimp-mit-seinen-Bitches-Videoclip übersetzt.

Als sich während der Nummer „Der morgige Tag ist mein“ einige im Publikum erheben und einstimmen, gelingt Spohr nicht nur, die unheimliche Bedrohung einzufangen, die das Musical ausmacht, sondern auch ein kluger Kommentar auf das aktuelle Geschehen. Die Nazis sind eben nicht nur in den Geschichtsbüchern und -filmen, sie sitzen auch neben uns.

„Cabaret“ von Kander/Ebb/Masteroff | R: Roland Spohr | Fr 21.12. 19.30 Uhr | Theater Oberhausen | 0208 8 57 81 84 | www.theater-oberhausen.de

ANNA SCHIFF

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